Es ist, als würden der FC Liverpool und Manchester City fusionieren und zukünftig ein Team der Superlative bilden. Nicht möglich? Im Radsport ist gerade ein derartiges Konstrukt das heißeste Gesprächsthema.
So befinden sich der niederländische Top-Rennstall Jumbo-Visma, der in diesem Jahr die Siege bei allen drei großen Rundfahrten (Tour, Giro, Vuelta) abräumte, und die belgische Traditionsmannschaft Soudal-Quick Step in konkreten Gesprächen – mit der Folge, dass es zu einer großen Rochade unter den Topstars der Branche kommen könnte. Sie würde wohl auch dem deutschen Rennstall Bora-hansgrohe neue Perspektiven eröffnen.
Wo geht Roglic hin?
Ex-Skispringer Primoz Roglic, der in diesem Jahr für Jumbo den Giro d’Italia gewann, kündigte bereits seinen Abschied nach acht Jahren an. Laut der italienischen «Gazzetta dello Sport» führt sein Weg zu Bora-hansgrohe. Es wäre ein großer Coup für Teamchef Ralph Denk, der seit Jahren eine Mannschaft für die großen Rundfahrten aufbaut.
Mit Roglic würde der Bayer das fehlende Puzzlestück erhalten, denn der Slowene zählt zu den besten Rundfahrern der Welt. Dreimal gewann der 33-Jährige die spanische Vuelta, in diesem Jahr den Giro. Auch bei der Tour de France stand er vor der großen Krönung, hätte ihm sein Landsmann Tadej Pogacar 2020 am vorletzten Tag in einem dramatischen Einzelzeitfahren nicht das Gelbe Trikot noch entrissen.
Mit Bora könnte sich für Roglic eine weitere Chance ergeben, die er bei Jumbo-Visma nicht mehr bekam. Denn bei den Schwarz-Gelben ist alles auf den Dänen Jonas Vingegaard ausgerichtet, der mit seinem zweiten Tour-Triumph in diesem Jahr seinen Status auch rechtfertigte. Ganz billig ist Roglic zwar nicht. Mit der Verpflichtung des dreimaligen Weltmeisters Peter Sagan hatte Teamchef Denk, der auf dpa-Anfrage nicht erreichbar war, aber 2017 schon einmal einen Coup mit komplizierter Finanzierung gelandet. Roglic will nach der Lombardei-Rundfahrt am Samstag sein neues Team bekannt geben.
Evenepoel zu Ineos?
Die zweite große Personalie in diesem Transfer-Geschacher ist Remco Evenepoel. Der belgische Zeitfahr-Weltmeister in Diensten von Soudal-Quick Step will im kommenden Jahr erstmals bei der Tour angreifen – aber sicher nicht als Edelhelfer von Vingegaard. Das kann sich auch Ex-Toursieger Geraint Thomas kaum vorstellen. «Remco hasst Jumbo und Jumbo hasst Remco», sagte der Waliser jüngst in seinem Podcast Watts Occurring.
Gut möglich, dass Evenepoel den Platz des 37-jährigen Thomas beim Ineos-Rennstall einnimmt. Das hatte Ex-Toursieger und Eurosport-Experte Alberto Contador bereits während der WM in Glasgow in Umlauf gebracht. Aktuell besitzt Evenepoel noch einen Vertrag bis 2026 bei Soudal-Quick Step. Bei einem Zusammenschluss der beiden Top-Teams, die aber de facto eher eine Übernahme durch Jumbo-Visma wäre, könnte der 23-Jährige aber wohl ablösefrei wechseln. Ein Radsport-Agent ließ die französische Sportzeitung «L’Equipe» bereits wissen, dass Evenepoel innerhalb von fünf Minuten einen unterschriftsreifen Vertrag signieren könnte.
Die Briten wären die logische Adresse für Evenepoel. Das einstige Team des Vierfach-Champions Chris Froome bietet das perfekte Umfeld für den Angriff auf den Tour-Thron, nur der Topfahrer fehlt noch. Denn Egan Bernal, Toursieger von 2019, ist seit seinem schlimmen Trainingssturz noch weit weg von der Weltspitze.
Co-Sponsor Jumbo steigt aus
Eine Fusion der beiden Mannschaften, die dann Soudal-Visma oder umgekehrt heißen würde, hat aber nicht nur Fans. Der zweimalige Weltmeister Julian Alaphilippe fände es «traurig», wenn sein Soudal-Quick-Step-Team von der Bildfläche verschwinden würde, weil es «ein Team im Herzen des Radsports seit vielen Jahren mit seiner eigenen Geschichte» sei. Allein in diesem Jahr stehen schon wieder 54 Siege zu Buche für den Rennstall, in dem einst auch Marcel Kittel, Mark Cavendish oder Tom Boonen groß auftrumpften.
Grund für eine mögliche Fusion ist dabei der Ausstieg von Co-Sponsor Jumbo spätestens zum Ende der Saison 2024. Der Weltverband UCI mahnte die beiden Rennställe bereits an, die laufenden Verträge bei einem möglichen Deal zu achten. Schließlich geht es nicht nur um 50 Fahrer, sondern auch um die gesamte Belegschaft. Inzwischen ist aber auch Amazon als möglicher Sponsor im Gespräch. Es darf weiter spekuliert werden im Radsport.