Für Malaika Mihambo ist es ein Olympiasieg mit Sternchen.
«Definitiv! Das war mein härtester Wettkampf und die wichtigsten sieben Meter, die ich je gesprungen bin», sagte die 27-Jährige vom LV Kurpfalz nach dem olympischen Weitsprung-Krimi am Dienstag in Tokio. «An Spannung war das wohl nicht zu übertreffen.»
Erst mit ihrem Sieben-Meter-Satz im letzten Versuch hatte die Topfavoritin die Führung übernommen, musste aber noch die Sprünge von Brittney Reese (USA/Silber) und Ese Brume (Nigeria/Bronze) abwarten, die zuvor jeweils 6,97 Meter weit gekommen waren. «Es ist die Position, die ich am wenigsten mag, weil man nichts machen kann», sagte Mihambo. «Ich habe einfach die Augen zugemacht, weil ich nicht zusehen konnte, wie es ausgeht. Das war ein schlimmer Moment.» Deshalb sei es für sie «eines der spannendsten Finals ever» gewesen.
«Habe einen inneren Glauben gespürt»
Für die deutsche Welt- und Europameisterin hatte es mit 6,83 Metern gut angefangen und sich mit 6,95 Metern gut fortgesetzt. Dass sie bei diesem Satz fast 13 Zentimeter vom optimalen Absprungpunkt entfernt war, machte zusätzlich Mut. Beim dritten Versuch (6,78) traf sie den Balken schlechter und die Sprünge vier und fünf waren ungültig. «Ich habe einen inneren Glauben gespürt, der ungebrochen war. Ich war ruhig und gelassen», schilderte Mihambo ihre Gefühlslage vor dem entscheidenden Flug zum Gold.
Das Wechselspiel der Gefühle im Tokio-Finale war ein Spiegelbild ihrer ganzen vorolympischen Saison, in dem ihre Siegerweite von 7,30 Metern vom WM-Triumph 2019 in Doha zu einer nicht mal annähernd erreichbare Größe geworden war. Vergeblich hatte sie auf dem Weg zum Medaillenkampf monatelang nach dem perfekten Timing zwischen Anlauf und Absprung gesucht, um die Sieben-Meter-Barriere zu überwinden. Anfang Juli gelang ihr es nur in Stockholm einmal mit 7,02 Metern.
Die Leichtigkeit des Springens war der zweimaligen «Sportlerin des Jahres» in der Pandemie-Pause und durch die Verkürzung des Anlaufs abhandengekommen. Zur Schonung ihres lädierten Rückens hatte sie von 20 auf 16 Schritte reduziert. Die Rückkehr zum langen Anlauf geriet bis nahe an Olympia heran zur Zitterpartie. «Das Springen ist mir schwer gefallen», bekannte sie unumwunden.
Lange Selbstzweifel
Bis Juni hätten sie deshalb Selbstzweifel geplagt, danach sei sie langsam in «meinen Anlauf reingekommen und habe zu altem Selbstvertrauen» gefunden», sagte Mihambo. «Ich habe herausgefunden, dass ich niemandem etwas beweisen muss, dass ich nichts zu verlieren habe.» Das habe ihr die Bürde genommen, in Tokio unbedingt Gold gewinnen zu müssen.
Dass sie es am Ende doch geschafft hat, sei ein unbeschreibliches Gefühl, weil der Weg «so hart und steinig» gewesen sei und sie dabei viel gelernt habe. «Ich bin dankbar, dass ich als beste Version meiner selbst hier stehe», sagte Mihambo. «Es ist ein bescheidenes Glücksgefühl, das ich sehr genieße und wertschätze.»
«Das war Maßarbeit»
Freudentränen hat ihr Goldgewinn bei den Olympiasiegerinnen Heide Ecker-Rosendahl und Heike Drechsler ausgelöst. «Wahnsinn! Das hat mich richtig gefreut», sagte Ecker-Rosendahl, die 1972 in München triumphierte. Drechsler, die 1992 in Barcelona und 2000 in Sydney in der Sandgrube siegte, befand: «Einfach genial! Ich bin sehr gerührt und überwältigt.» Begeistert war auch die deutsche Cheftrainerin. «Das war Maßarbeit. Ein echter Gold-Coup», meinte Annett Stein.
Nachdem sie nun vom nationalen Titel bis zum ersten Olympiasieg 21 Jahre nach Heike Drechsler und als vierte Deutsche überhaupt alles gewonnen hat, was man gewinnen kann, will sie vorrangig ihre Leistungsgrenze verschieben. «Für mich ist es interessant, herauszufinden, wie weit kann ich noch springen kann», erklärte Mihambo. «7,30 Meter muss man erst wieder schlagen. Ich weiß aber, dass ich es kann.»
Vielleicht mit Hilfe von Carl Lewis in den USA. Das Projekt, bei einem der Größten der Leichtathletik zu trainieren, hat sie nicht aufgegeben. «Den Plan werde ich noch angehen, weil es mich menschlich weiterbringen kann – aber nach dem Urlaub», sagte Malaika Mihambo.