Lächelnd, aber entschieden wehrte Rafael Nadal nach dem erkämpften Halbfinaleinzug bei den Australian Open die Vorwürfe vom Bonus eines Topstars ab.
Mit einem Kraftakt über fünf Sätze und mehr als vier Stunden trotz Magenproblemen hatte der spanische Tennis-Routinier das drohende Aus gegen den Bezwinger von Alexander Zverev abgewendet. Dank des 6:3, 6:4, 4:6, 3:6, 6:3 gegen den Kanadier Denis Shapovalov kam der 35-Jährige dem Grand-Slam-Rekord einen Schritt näher. Von der Schimpftirade Shapovalovs, Nadal werde vom Schiedsrichter bevorzugt behandelt, ließ er sich am Dienstag in Melbourne ganz und gar nicht aus der Ruhe bringen.
«Ich habe nie das Gefühl, dass ich Vorteile auf dem Platz gehabt habe, und ich glaube wirklich, dass er falsch liegt», sagte Nadal: «Er ist jung. Wir alle machen Fehler in unserer Karriere. Ich habe viele Fehler gemacht, als ich jünger war.» Wahrscheinlich werde Shapovalov später verstehen, dass er heute nicht recht gehabt habe.
Shapovalov schimpft
Als sich Nadal nach dem ersten Satz seiner Meinung nach ein wenig zu viel Zeit ließ, ehe er bereit für den Return an der Grundlinie auftauchte, hatte Shapovalov losgewütet. «Ihr seid alle korrupt», schimpfte der 22-Jährige in Richtung des brasilianischen Schiedsrichters Carlos Bernardes, als Nadal nicht die aus seiner Sicht nötige Verwarnung für eine Zeitüberschreitung kassierte.
«Ich denke, in dem Moment war Denis angepisst, weil der Schiedsrichter ‚time‘ gerufen hat, und ich noch etwa 30 Extra-Sekunden gebraucht habe, um meine Klamotten zu wechseln», sagte Nadal. «Ich denke, in dem Moment ist es fair, dass Carlos mir die Zeit gegeben hat.» Shapovalov nahm mit etwas Abstand den Ausdruck korrupt zurück. «Es ist unfair, wie Rafa damit wegkommt», meinte er. Das Schiedsrichterverhalten sei ein «großer Witz.» Auf die Frage, ob er glaube, Nadal werde bevorzugt behandelt, antwortete der Kanadier: «Zu 100 Prozent.» Immer wieder habe Nadal die Zeit verschleppt.
Magenprobleme bei Nadal
Die Spannung über fünf Sätze, die dieses Match bekommen sollte, war lange nicht absehbar gewesen. Gegen den Wimbledon-Halbfinalisten machte es Nadal mit seiner Präsenz und Konstanz lange viel besser als Zverev bei seiner Achtelfinal-Schlappe. Der Melbourne-Sieger von 2009 führte mit 2:0 Sätzen, doch dann taumelte er. In der Hitze von Melbourne suchten ihn Magenprobleme heim, er verlor die Souveränität. «Ich war komplett zerstört. Schwerer Tag. Sehr warm», erklärte Nadal.
Die Frage nach seiner körperlichen Verfassung war vor dem Turnierbeginn ein diskutiertes Thema. Dennoch war Nadal weitestgehend sicher durch die frühen Runden marschiert. Seine Probleme an diesem Dienstag hatten jedoch nichts mit der Fußverletzung zu tun, die ihn am Ende der vergangenen Saison monatelang außer Gefecht gesetzt hatten. Die Tabletten für den Magen im vierten Satz hätten nur bedingt geholfen, erklärte Nadal im Siegerinterview.
Als es aussah, als hätte der 13 Jahre jüngere Shapovalov die Oberhand, lag Nadal auch dank leichter Fehler seines Gegners im entscheidenden Satz schnell vorn. Für mehrere Minuten war Nadal vor dem fünften Abschnitt aus der Arena verschwunden. «Du hast das Gefühl, du spielst nicht nur gegen den Spieler, sondern auch gegen den Schiedsrichter», schimpfte Shapovalov.
Berrettini im Halbfinale
Als der letzte Ball gespielt war, zerstörte der Kanadier seinen Schläger. Nadal nickte, streckte die Arme gen Himmel, legte den Kopf in den Nacken. Nun könne er Tennis-Historie schaffen. «Vor zwei Monaten wussten wir nicht, ob ich zurück auf die Tour komme. Für mich ist es ein Geschenk, dass ich wieder Tennis spielen kann.»
13 Jahre nach dem bisher einzigen Melbourne-Triumph trennen Nadal nur zwei Siege von der nächsten Trophäe. Statt gegen den des Landes verwiesenen serbischen Rekordchampion Novak Djokovic tritt der Weltranglistenfünfte am Freitag im Halbfinale gegen den Wimbledonfinalisten Matteo Berrettini an. Ebenfalls in fünf Sätzen rang der nun erste italienische Herren-Halbfinalist von Melbourne den Franzosen Gael Monfils mit 6:4, 6:4, 3:6, 3:6, 6:2 nieder.
Sollte Nadal tatsächlich am Sonntag triumphieren, würde er sich mit seinem 21. Titel bei einem Grand-Slam-Turnier den alleinigen Rekord sichern. Dass Djokovic und sein Schweizer Rivale Roger Federer (beide 20 Siege) aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht anwesend sind, hat die Tür weit für ihn geöffnet.
Am Donnerstag will Ashleigh Barty erstmals ins Endspiel von Melbourne einziehen. Im Viertelfinale deklassierte sie mit dem 6:2, 6:0 die an Position 21 gesetzte Amerikanerin Jessica Pegula. Auch Barty will ein ganz besonderes Erfolgskapitel schreiben und als erste Australierin seit Chris O’Neil 1978 die Australian Open gewinnen. Im Halbfinale trifft Barty auf die frühere US-Open-Finalistin Madison Keys aus den USA, die die tschechische French-Open-Siegerin Barbora Krejcikova mit 6:3, 6:2 besiegte.