Nagelsmann und der Traum vom Marienplatz

Julian Nagelsmann konnte den Startschuss für seine erste Einheit als Bayern-Trainer kaum erwarten. Zehn Minuten vor dem offiziellen Trainingsbeginn erschien der Nachfolger von Hansi Flick auf dem feinen Rasenplatz und packte auch gleich kräftig mit an, als er ein Minitor trug.

Lautstark und mit viel Elan startete der 33-Jährige beim Fußball-Rekordmeister in eine erhoffte neue Ära, die auch ihm selbst viele Titel einbringen soll, er holte bei seiner Premiereneinheit gleich die Taktiktafel raus.

«Ich kenne ja nur die Bilder von den Meisterfeiern auf dem Marienplatz. Das sind emotionale Momente», sagte Nagelsmann. «Ich werde mir den Weg auf den Balkon zeigen lassen und die schöne silberne Schale dann hoffentlich in die Massen recken.»

Bayer Nagelsmann zurück in der Heimat

Am Vorabend des ersten Trainings genoss der in Landsberg am Lech geborene Bayer bei einer Mountainbike-Tour in den Isarauen das lange vermisste Zuhause. «Ich war viele Jahre weg, aber habe alles gleich wieder erkannt», sagte Nagelsmann mit einem verschmitzten Lächeln.

Stolz präsentierten Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic in der Allianz Arena den Mann, den sie als Nachfolger von Sieben-Titel-Trainer Flick mit einem großen Vertrauensvorschuss bedacht haben: Ohne die Empfehlung von Meisterschaften, Pokalsiegen oder Champions-League-Triumphen wie namhafte Vorgänger dokumentiert der Fünfjahresvertrag eine hohe Wertschätzung. Der letzte Trainer, der fünf oder mehr Jahre beim ruhmreichen FC Bayern wirkte, war Ottmar Hitzfeld von 1998 bis 2004.

«Julian ist Fußball pur», rühmte Salihamidzic die «1a Wunschlösung», die im April für eine zweistellige Millionen-Ablöse vom Rivalen RB Leipzig verpflichtet worden war. Das Gespräch mit seiner Frau, einer gebürtigen Münchnerin, habe damals nur fünfeinhalb Minuten gedauert, verriet Nagelsmann. Die Verhandlung mit RB benötigten mehr Zeit, wurden aber dank der hohen Geldzahlung finalisiert. «Sehr viel» bedeute ihm der Vertrag bis zum 30. Juni 2026, gestand Nagelsmann und scherzte: «Für ein Jahr wäre ich auch nicht gekommen.»

Die fünf Jahre seien schöne «Vorschusslorbeeren» und zeigten, dass man ihm nicht nur kurz- sondern auch langfristig den Erfolg zutraue, sagte Nagelsmannn. Ära sei dabei nicht bloß ein Schlagwort, betonte derweil Kahn: «Das ist ein großer Wert, eine Ära zu prägen.»

Offensiven, variablen und mitreißenden Fußball will Nagelsmann, der als Titel eine deutsche A-Jugendmeisterschaft in der Vita stehen hat, spielen lassen. Er setzt auf Bewährtes und bringt Neues ein. «Es ist nicht so, dass ich hierherkomme und alles auf den Kopf stellen werde», versicherte er und deutete an, in der Coaching Zone vielleicht etwas leiser als in Hoffenheim oder Leipzig zu agieren. «Es wird nicht so sein, dass ich 90 Minuten wie ein Rumpelstilzchen an der Linie stehe, aber ich werde mich auch nicht gänzlich ändern.»

Manuel Neuer weiterhin FCB-Kapitän

Nagelsmann bekräftigte bei seiner Antrittspressekonferenz via Video, dass er weiter mit Manuel Neuer als Kapitän plant. «Manu ist ein herausragender Kapitän», sagte der Coach, der sogar zwei Jahre jünger als der Welttorhüter ist. «Es wird kein Problem, dass der Manu ein paar Tage älter ist als ich.» Mit den EM-Frustrierten um Neuer stand Nagelsmann bereits im Austausch, wobei er sie «nicht eine halbe Stunde lang vollgelabert» habe. Mit Erfolgen im Verein wolle man die EM-Misserfolge «schnellstmöglich» hinter sich lassen. Warme Worte gab es für den zuletzt vielgescholtenen Leroy Sané und auch für Leon Goretzka, der gerne den bis 2022 laufenden Vertrag verlängern könne.

Die Bosse hoben hervor, dass man mit dem neuen Trainer in einem steten Austausch stehe. «Ich freue mich einfach drauf, und wenn es dem Julian zu viel wird, soll er mich halt rausschmeißen», sagte Kahn, der scherzhaft hinzufügte: «Also aus der Kabine.»

Der zum Vorstandschef ausgestiegene Kahn und der seit einem Jahr als Sportvorstand agierende Salihamidzic goutierten mit ihren Mienen, dass ihnen Nagelsmanns Linie bei der Einkaufspolitik gefällt. «Der Verein bezahlt und verpflichtet den Spieler», sagte Nagelsmann. «Den Hut sollte schon der Verein aufhaben.»

Gerade in der Corona-Pandemie müsse auch der FC Bayern auf das Geld achten, betonte Salihamidzic. Der Sportvorstand stellte Großtransfers für die Nach-Corona-Zeit wieder in Aussicht. Wenn man die finanziellen Möglichkeiten habe, «werden wir vielleicht auch verrückte Sachen machen», bemerkte Salihamidzic.

Vergleichsweise günstig war die Bettwäsche, die Nagelsmann an einem seiner ersten Arbeitstage vom neuen Arbeitgeber geschenkt bekam. Als Kind schlummerte er gern unter der Decke mit Vereinswappen – und will das wieder tun. «Mein Sohn hat auch Anspruch angemeldet, dass er drin schlafen darf», sagte der Trainer des Jahres 2017. «Wir teilen uns öfter meine Bettdecke. Er ist in dem Alter, in dem er noch mit seinem Papa kuschelt. Daher werden wir das vielleicht gemeinsam mal machen.»

Von Christian Kunz und Klaus Bergmann, dpa