Alfred Gislason wirkte zum Start in die Vorbereitung auf die Heim-EM leicht angespannt. Die anhaltenden Personalprobleme ließen beim Bundestrainer der deutschen Handballer 72 Tage vor dem Eröffnungsspiel gegen die Schweiz noch keine Vorfreude oder gar Euphorie aufkommen. «Frust habe ich nicht, aber natürlich bin ich über die Absagen enttäuscht», räumte der 64 Jahre alte Isländer ein.
Das Wiedersehen mit der Mannschaft nach einem halben Jahr hatte sich Gislason anders vorgestellt. Statt nach der Testphase im Frühjahr endlich durchzustarten, muss er in den anstehenden Länderspielen gegen Ägypten am Freitag in Neu-Ulm und Sonntag in München erneut improvisieren. «Leider haben wir ein bisschen Pech mit Verletzungen. Es ist schade, dass der eine oder andere wichtige Spieler nicht dabei ist», klagte Gislason.
Vor allem im Rückraum drückt der Schuh. Neben den Berlinern Fabian Wiede und Paul Drux fehlen auch Leipzigs Regisseur Luca Witzke und der als dessen Vertreter eingeplante Marian Michalczik, für den U21-Weltmeister Nils Lichtlein nachnominiert wurde. Zudem fällt Kreisläufer Justus Fischer aus, der Einsatz von Linksaußen Rune Dahmke ist fraglich. Torwart Andreas Wolff soll nach seinem Bandscheibenvorfall erst langsam wieder aufgebaut werden und dürfte nur leicht mittrainieren.
«Aus der Not eine Tugend machen»
Jammern will Gislason deshalb aber nicht. «Wir hatten das anders geplant. Jetzt müssen wir aus der Not eine Tugend machen. Wir wollen diese Woche trotz der Probleme gut nutzen und uns weiter für die EM einspielen», verkündete er das Ziel. Trotzig fügte er hinzu: «Ich kenne das nicht anders, seit ich Bundestrainer bin.»
Durch die vielen Ausfälle ist Gislason gezwungen, das Team erneut umzubauen und verstärkt auf die Jugend zu setzen. Neben Lichtlein stehen mit Torwart David Späth und Linksaußen Tim Nothdurft zwei weitere Debütanten im Kader. «Wir können nicht anders, als diese Linie zu fahren. Die Mannschaft hat viel Talent. Aber von der Erfahrung her sind wir ganz weit weg von Teams wie Spanien oder Frankreich», sagte der Bundestrainer.
Trotz der nicht optimalen Voraussetzungen erhofft er sich von den Duellen mit dem Olympia-Vierten einen Schub in Richtung EM, für die der Verband eine Medaille als Ziel ausgegeben hat. «Ägypten hat ein Top-Team und wird uns alles abverlangen. Das wird eine gute Standortbestimmung», sagte Gislason.
Überzeugende Auftritte gefordert
Nach den deftigen Pleiten im Frühjahr gegen Weltmeister Dänemark (23:30 und 21:28) sowie gegen Europameister Schweden (23:32) weiß der Trainer-Routinier nur zu gut, dass die Mannschaft in den ausstehenden vier Test-Länderspielen vor der Europameisterschaft überzeugende Auftritte abliefern muss. «Es geht jetzt auch um Ergebnisse», verdeutlichte DHB-Sportvorstand Axel Kromer. Denn Siege im Vorfeld wären nicht nur für die Stimmung im Land wichtig, sondern auch für die Seele der Spieler. «Wir wollen nicht nur experimentieren, sondern die Spiele gewinnen. Das Team braucht Vertrauen in seine Fähigkeiten», sagte Gislason.
Zweifel an der Leistungsfähigkeit seiner Schützlinge hat er nicht. «Wir haben trotz der Absagen immer noch eine gute Mannschaft und sind meiner Ansicht nach konkurrenzfähig. Alle, die hier sind, brennen darauf, für Deutschland zu spielen», bekräftigte Gislason. Doch auch für den Bundestrainer bleibt die DHB-Auswahl gut zwei Monate vor der Heim-EM eine Wundertüte: «Ich bin gespannt, was kommt.»