Nur Remis: FC St. Paulis gestiegene Ansprüche gegen den HSV

Dass das 110. Hamburger Stadtderby noch lange in Erinnerung bleibt, liegt an HSV-Torhüter Daniel Heuer Fernandes. Sein «Slapstick»-Eigentor (HSV-Trainer Tim Walter) war ein weiterer der zahlreichen besonderen Momente in der langen Geschichte des emotionsgeladenen Duells gegen den FC St. Pauli. In Erinnerung bleiben wird den HSV-Fans auch, dass ihre Mannschaft nach dem 0:2-Halbzeitrückstand Moral bewies und beim Tabellenführer der 2. Fußball-Bundesliga im Schneegestöber noch ein 2:2 erreichte.

Für den FC St. Pauli wird das Spiel gegen den großen Nachbarn indes bemerkenswert bleiben, weil es zeigte, wie die Ansprüche des Kiezclubs innerhalb eines Jahres gestiegen sind. «Dass wir uns über ein Unentschieden gegen den HSV ärgern, ist eine große Sache für den FC St. Pauli», sagte Präsident Oke Göttlich am Samstag bei einer DFB-Veranstaltung im Vorfeld der EM-Auslosung. «Wir hätten mehr Tore schießen müssen», meinte er weiter und fügte mit Blick auf das Eigentor von Heuer Fernandes schmunzelnd hinzu: «So mussten wir uns auf andere verlassen.»

St. Paulis Wahl: «Das Ergebnis ist schon enttäuschend»

Am Abend zuvor war den wenigsten Spielern und auch nicht Trainer Fabian Hürzeler zum Schmunzeln zumute. Enttäuscht stapften die meisten St. Pauli-Profis durch die Mixedzone an den Medien vorbei. Die, die redeten, machten keinen Hehl aus ihrem Ärger über die vergebene Chance. Denn mit einem Sieg hätte das Team den Vorsprung auf den Verfolger aus dem sieben Kilometer entfernten Volkspark auf sechs Punkte distanziert.

«Wir sind sehr frustriert», sagte Kapitän Jackson Irvine, der sein Team nach einer Viertelstunde mit 1:0 in Front geschossen hatte. «Wir müssen uns ankreiden lassen, das Spiel nicht früher zu entscheiden. Das Ergebnis ist schon enttäuschend», schloss sich Abwehrspieler Hauke Wahl an. «Wir haben das Spiel dominiert und waren die klar bessere Mannschaft. Deshalb ist es nicht zufriedenstellend, dass wir heute nur 2:2 zu spielen», meinte Stürmer Johannes Eggestein.

Viele Jahre wurde ein Remis gegen den einstigen Bundesliga-Dino und einen der ganz großen Clubs in Fußball-Deutschland als Erfolg für den Stadtteilverein aus dem Kiez gefeiert. In den vergangenen vier Saisons hatte der FC St. Pauli zwar seine Heimspiele gegen den HSV stets gewonnen. Doch in diesenPartien war die Mannschaft nie als Favorit gegangen, ein Sieg nicht selbstverständlich. Das war diesmal anders.

In der Tat zeigte das Team von Trainer Hürzeler gegen den HSV lange Zeit, warum es von Experten derzeit hochgelobt wird und sich bis an die Tabellenspitze gearbeitet hat. «Es ist enttäuschend, nach 90 dominanten Minuten nur mit einem Punkt dazustehen», lautete das entsprechende Fazit von Hürzeler.

Andrerseits: «Wenn ich das gesamte Spiel sehe, dann sehe ich wieder einen Schritt in die richtige Richtung», meinte das 30 Jahre alte Trainer-Aufsteiger. «Wir haben gegen den Tabellenzweiten unser Spiel gemacht, waren sehr dominant und bis auf die beiden Gegentore in der Defensive auch sehr kompakt.»

So ein Eigentor «passiert im Fußball»

Dass es nur ein Remis wurde, lag aber auch an der Qualität des Gegners – und dessen Einstellung. Noch einmal zurückzukommen nach einer schwachen ersten Halbzeit und einem solchen Eigentor zeugte von Mentalität. «Du gehst in die Kabine und fragst dich erstmal, was die Lösung darauf ist», sagte Trainer Tim Walter und stellte zufrieden fest. «Die haben wir gefunden.»

Möglicherweise schnell vergessen wird von dieser Auflage die Diskussion, ob die Tore des FC St. Pauli regelkonform gewesen waren. HSV-Sportvorstand Jonas Boldt monierte im TV-Sender Sky ein Foul von St. Pauli Karol Mets gegen HSV-Kapitän Jonas Meffert vor dem ersten Treffer für die Gastgeber. Vor dem Eigentor sollen zudem Eggestein und Elias Saad auf der Strafraumlinie gestanden haben, als beim Abstoß von Stephan Ambrosius im Zusammenspiel mit Guilherme Ramos und Heuer Fernandes das Unheil seinen Lauf nahm.

Hürzeler reagierte mit Unverständnis auf die Debatte. «Man kann sich alles so hindeichseln, wie man will», sagte er. Da sei sehr viel «viel subjektive Wahrnehmung» dabei. HSV-Coach Walter meinte, er müsse sich die Tore «in Ruhe» ansehen.

Oft genug ansehen kann sich Heuer Fernandes seinen unglaublichen Fehlschuss spätestens in den Vorberichten zum 111. Derby Anfang Mai wieder. «Natürlich ist das maximal unglücklich. Das habe ich mir auch anders vorgestellt», sagte der 31-Jährige zu seinem ersten Eigentor im 180. Zweitliga-Spiel. «Aber das passiert im Fußball.»

Von Claas Hennig und Felix Schröder, dpa