Schande und Weltskandal. Wenn bei Fußballturnieren vorsätzliche Schiebung gewittert wird, ist der Aufschrei groß. An diesem Mittwoch wäre beim eigentlich unspektakulären EM-Duell zwischen der Slowakei und Rumänien in Frankfurt am Main ein zweites Gijón theoretisch möglich.
Denn beiden Außenseitern reicht ein Remis zum sicheren Achtelfinal-Einzug. Doch die Teams beteuern unisono, dass es nicht zu ähnlichen Szenen wie beim Nichtangriffspakt von der WM 1982 kommen wird.
Damals hatten in der spanischen Stadt Gijón sowohl Deutschland als auch Österreich mit dem 1:0 der DFB-Auswahl die nächste Runde erreicht – zulasten von Algerien, das die Gruppenphase zuvor bereits beendet hatte. Das Spiel ging als Schande von Gijón in die Geschichte ein. Diesmal nimmt Deutschland höchstens eine Nebenrolle ein, schließlich wird Daniel Siebert die brisante Partie leiten.
Kevin De Bruyne und seine Belgier sind in der Gruppe E, in der alle vier Teams drei Punkte haben, ebenfalls beteiligt. Zwar haben die Roten Teufel das Weiterkommen mit einem Sieg oder einem Remis gegen die Ukraine in eigener Hand, doch die Position in der Gruppe hängt maßgeblich vom Ausgang der Parallelpartie ab. Und bei dem könnten sich Rumänien und die Slowakei theoretisch absprechen.
Slowaken wollen keine Taschenrechner zücken
«Wir haben noch nicht die Taschenrechner gezückt, obwohl das in der Slowakei so üblich ist», versicherte der slowakische Routinier Stanislav Lobotka. Rumänien will Spekulationen über eine Schieberei erst gar nicht aufkommen lassen. «Leute, meine Botschaft ist klar. Wir spielen um den ersten Platz, wir spielen um den Gruppensieg! So wie wir zuvor in jeder Sekunde alles gegeben haben, werden wir jetzt und immer in jeder Sekunde alles geben!», sagte Trainer Edi Iordanescu in einer Botschaft an seine Spieler.
Er betonte: «Ja, ein Unentschieden gegen die Slowakei reicht uns. Wenn es so endet, sind wir glücklich. Aber damit es so endet, müssen wir bereit sein, dieses Spiel gewinnen zu wollen.» Das Ziel sei Platz eins, um im Achtelfinale einen einfacheren Gegner zu bekommen. Aber wie viel Risiko geht eine Mannschaft ein, wenn nur bei einer Niederlage das vorzeitige Aus droht – und bei einem 0:0 sicher nicht?
Außenseiter wie die Slowakei, Rumänien und die Ukraine sind natürlich froh, dass die EM seit 2016 mit 24 statt 16 Mannschaften ausgetragen wird. Die Ansetzung, erst am letzten Gruppenspieltag antreten zu müssen, erlaubt den betroffenen Mannschaften Rechenschiebereien – und theoretisch sogar ein Ballgeschiebe. Für die UEFA könnte die knifflige Konstellation zu einem Problem werden. Und im schlimmsten Fall für einen Skandal sorgen, der in Erinnerung bleibt.
Remis reicht Slowakei und Rumänien zum Weiterkommen
Sowohl die Slowakei und Rumänien (18.00 Uhr/ARD und MagentaTV) als auch die Ukraine und Belgien mit dem italienisch-deutschen Trainer Domenico Tedesco (18.00 Uhr/RTL und MagentaTV) haben vor dem Gruppenfinale am Mittwoch das Weiterkommen selbst in der Hand. Ein Sieg reicht jedem Team aus dem Quartett.
Durch den Modus mit 24 Teams und sechs Gruppen, aus denen die vier besten Dritten weiterkommen, wissen die Slowaken und Rumänien aber auch vor dem Anpfiff: Bei einem Remis in der vom deutschen Referee Siebert geleiteten Partie würden beide Teams sicher unter den besten Drei der Gruppe bleiben. Ein enormer Vorteil im Vergleich zu Teams wie Ungarn und Kroatien, die so viel Informationen am Anfang des letzten Vorrundenspieltags noch nicht hatten. Der Ukraine hingegen könnte bei einem eigenen Unentschieden im Duell mit Belgien oder einer Niederlage die Konstellation aufgrund der schlechtesten Tordifferenz zum Verhängnis werden.
«Natürlich, das ist uns klar», antwortete der ukrainische Mittelfeldspieler Heorhij Sudakow auf die Frage, ob der Mannschaft bewusst sei, dass ein Unentschieden womöglich nicht ausreichen werde. Er hofft: «Keiner in der Mannschaft redet von einem Unentschieden. Jeder bereitet sich darauf vor, auf Sieg zu spielen.» Sein Teamkollege Maxym Talowjerow erklärte: «Ich glaube, dass eine Mannschaft, die auf ein Unentschieden spielt, bereits zu 95 Prozent das Spiel verloren hat. Deshalb spielt jede Nationalmannschaft, auch die Ukraine, auf Sieg.» Enden beide Spiele mit einem Remis, bliebe die Ukraine Vierter.
«Weltskandal» für Italien bei der EM 2004
Das heikle Szenario, das zwei Kontrahenten am letzten Gruppenspieltag ein bestimmtes Ergebnis genügt, ist nicht neu: Selbst bei der EM 2004 – als es nur 16 Teilnehmer gab und die Gruppendritten noch nicht weiterkommen konnten – hätten Dänemark und Schweden mit einem 2:2 beide das Viertelfinale erreicht. Genau so ging die Begegnung aus, Italien war trotz eines 2:1 gegen Bulgarien raus. Grund war damals ein Dreiervergleich zwischen Dänemark, Schweden und der Squadra Azzurra.
Im Lager des Kontrahenten Italien hatte das schon vor der Partie für großen Unmut gesorgt: Gennaro Gattuso forderte sogar den Einsatz von 50 TV-Kameras, damit während des Spiels auch das kleinste Anzeichen von Schiebung dokumentiert werden könnte. «Das ist ein Weltskandal», meinte danach der tobende Torwart Gianluigi Buffon. Trainer Giovanni Trapattoni aber sagte: «Wir hegen keinen Verdacht gegen die Skandinavier und gehen erhobenen Hauptes.»