Ohne Wohlfühlfaktor: Gold-Hoffnung Hinze legt los

Von den Unterkünften im Athletendorf war Emma Hinze «geschockt», das berüchtigte Quarantäne-Hotel will sie «auf keinen Fall erleben» und die Konkurrenz kann sie nach gut 18 Monaten Corona-Pause nicht einschätzen.

Deutschlands große Gold-Hoffnung steht vor dem Auftakt der Bahnrad-Wettbewerbe bei den Olympischen Spielen vor einer ungemütlichen Reise ins Ungewisse. Wenn es so perfekt wie bei ihrem dreifachen WM-Coup in Berlin kurz vor der Pandemie läuft, wird sie Tokio als großer Star im deutschen Olympia-Team verlassen. Verrückt machen lassen will sie sich von der großen Chance auf dreimal Gold aber nicht.

«Ich merke schon, dass Druck da ist, aber ich lasse es nicht an mich heran», betont Hinze vor dem Start am Montag im Teamsprint mit Kollegin Lea Sophie Friedrich. Eine Medaillen-Hochrechnung will die 23-Jährige nicht aufstellen, hat sie in ihrer Karriere nie gemacht und muss sie auch nicht mehr. Die Erwartungshaltung ist nach ihren Erfolgen eh riesengroß. Das weiß auch der erfahrene Bundestrainer Detlef Uibel: «Mit den Ergebnissen von Berlin, gerade bei den Frauen, stehen wir schon etwas in der Pflicht. Wir haben die klare Zielstellung, daran anschließen zu wollen, ohne dass wir alle von Gold reden.»

Seit 18 Monaten kein Großereignis

Denn es bleiben viele Fragezeichen. Seit 18 Monaten hat es kein Kräftemessen mit den großen Nationen mehr auf internationaler Bühne gegeben. Keine WM, keine EM und auch keine Weltcups. Nur beim Großen Preis von Cottbus im Juni durfte Hinze ihre WM-Trikots mal präsentieren, aber auch das hatte eher den Charakter einer deutschen Meisterschaft. «Es ist spannend, nach eineinhalb Jahren wieder aufeinandertreffen, aber wir haben uns darauf eingestellt», sagt Uibel.

Interne Überprüfungen und internationale Trainingspartner sollten die fehlenden Rennen für «Wettkampftyp» Hinze kompensieren. Auch Sprints gegen die Männer standen auf dem Programm. Da passt es ganz gut, dass ihr Partner Maximilian Dörnbach als ehemaliger Junioren-Weltmeister mit im Team ist und auch in Japan als Ersatzfahrer beiseite steht. Gemäß den Wattzahlen und den Zeiten sei die gebürtige Hildesheimerin Hinze wie auch die noch zwei Jahre jüngere Friedrich – immerhin auch schon zweimal Weltmeisterin – besser geworden. Aber das gilt für die Konkurrenz auch. Das hat schon Kristina Vogel, die große Vorgängerin von Hinze und nach ihrem schweren Unfall als TV-Expertin in Tokio dabei, in der Vergangenheit feststellen müssen.

Große Bedenken

Vor fünf Jahren in Rio bekam Hinze als junge Ersatzstarterin kostenlosen Anschauungsunterricht, wie Vogel all den Druck und die Widrigkeiten abprallen ließ – und zu Gold raste. Widrigkeiten hat Hinze in Tokio zuhauf. Nach dem Fall Simon Geschke, der trotz Impfung positiv auf Corona getestet wurde, hatte Hinze große Bedenken. «Wenn man sich solange vorbereitet, extra impfen lässt und auf alles achtet, und dann sieht, dass es trotzdem passieren kann, dass man positiv ist. Das fand ich schlimm», sagte die Blondine.

Schlimm ist nach Meinung der deutschen Bahnradasse auch das Athletendorf, das Routinier Maximilian Levy als «unterirdisch» bezeichnet hat. Die Bahnradfahrer sind in der Nähe von Izu gut drei Stunden von Tokio entfernt untergebracht. «Das Dorf ist von 1964, uralt. Es ist nichts gepflegt und instand gehalten. Es fehlt auch mal eine olympische Fahne oder irgendetwas, das darauf hindeutet, dass wir bei Olympia sind», sagt Levy, der aber auch anmerkt: «Wir sind Kummer und Sorgen gewöhnt.» Bleibt für Hinze und Co. zu hoffen, dass nicht auch noch böse Überraschungen auf der Bahn dazukommen.

Von Stefan Tabeling, dpa