Pfiffe für Monza-Sieger Verstappen: Atmosphäre nicht so toll

Die Tifosi zogen zum Trotz unters Gänsehaut-Podium der Formel 1 und pfiffen Sieger Max Verstappen aus, der deprimierte Charles Leclerc suchte erstmal Trost bei seinem Team.

In einem unwürdigen Finale eines lange Zeit spannenden Rennens um den Sieg beim Großen Preis von Italien rollte Verstappen gemütlich hinter dem Safety Car auf dem Hochgeschwindigkeitskurs zu seinem ersten Triumph in Monza.

«Wir hatten ein großartiges Rennen, wir waren auf allen Reifenmischungen die Schnellsten. Wir hatten einfach einen rundum guten Tag», sagte Verstappen, der in seinem achten Jahr in der Motorsport-Königsklasse den ersten Monza-Sieg schaffte. «Es hat ein bisschen Zeit gedauert», kommentierte er lächelnd.

Verstappen steht kurz vor dem Titeltriumph

Mit dem Unmut der enttäuschten Ferrari-Fans unter den weit über 100.000 Fans konnte er leben. «Für mich war die Atmosphäre nicht so toll, aber es ist, wie es ist», sagte Verstappen zum Premieren-Podiumserlebnis als Monza-Sieger. Die Aussicht sei jedenfalls großartig, was auch aufs Sportliche bei Verstappen zutrifft. Schon beim kommenden Rennen Anfang Oktober in Singapur hat der 24 Jahre alte Red-Bull-Star die Chance auf den zweiten und vorzeitigen Titeltriumph. Der Vorsprung auf den gleichaltrigen und ehemaligen Kart-Rivalen Leclerc beträgt satte 116 Punkte.

Auch wenn Leclerc schon vor dem Rennen wusste, dass auch diese WM schon gelaufen ist, wollte er unbedingt den Sieg in Monza im Ferrari von 2019 wiederholen. «Das Ende war frustrierend», kommentierte er entsprechend enttäuscht nach dem wenig furiosen Finale. Auch Italiens Präsident Sergio Mattarella und Monacos Fürst Albert mussten mitansehen, wie ein liegen gebliebener McLaren nicht mehr rechtzeitig abgeschleppt werden konnte.

«Wir finden es auch ziemlich enttäuschend, so wie es gelaufen ist», sagte Teamchef Mattia Binotto. «Es wäre ein tolles Finish gewesen, vielleicht für uns auch enger, aber man sollte den Sport in den Vordergrund stellen», sagte Red Bulls Motorsportchef Helmut Marko.

Dritter wurde George Russell im Mercedes. Für Sebastian Vettel endete das Europa-Finale auf dem Kurs seines ersten von 53 Grand-Prix-Siegen vor 14 Jahren nach nicht mal einem Drittel der Renndistanz wegen eines Defekts am Aston Martin. Mick Schumacher schloss ein deprimierendes Wochenende in einem zu langsamen und zu anfälligen Haas auf dem starken zwölften Rang ab. «Wir hatten mehr Pace als wir gedacht hatten», meinte Schumacher, der das Rennen auch «besser als erwartet» fand.

Ferrari enttäuscht beim Heim-Grand-Prix

Der Druck auf Leclerc und Ferrari war enorm. Endlich wieder vor vollen Rängen ohne Einschränkungen der Corona-Pandemie wurden schon die Installationsrunden zum Fest auf den Tribünen. Strahlender Sonnenschein ließ auch das Gelb am SF-75 zu Ehren der Heimat von Firmengründer Enzo Ferrari so richtig strahlen. Leclerc hatte sich die Pole mit einer famosen Runde am Samstag gesichert, dahinter hatte die Rechnerei nach einem Reigen an Startplatzstrafen begonnen. Betroffen war davon auch Verstappen, der von zwei auf sieben in der Startposition zurückfiel und Sainz, der von drei auf 18 musste.

Profiteure waren dabei neben Russell auf Startrang zwei auch Vettel und Schumacher, die von Position elf und 17 loslegen durften trotz verkorkster Qualifikationen. Schumacher, dessen Haas nur wenige Übungsrunden zugelassen hatte, war Letzter in der K.o.-Ausscheidung geworden, Vettel 17.

Die große Gefahr für alle auf dem vor 100 Jahren erbauten Autodromo Nazionale di Monza: Kurve eins. Leclerc verteidigte seine Pole, die Zuschauer flippten aus, Russells Attacke blieb ohne Folgen. Gleich zwei Plätze gut machte Verstappen, der nach der Sommerpause zuletzt in Spa-Francorchamps und den Niederlanden gewonnen hatte. Er holte weiter auf. In der fünften Runde ließ er Russell hinter sich.

Safety-Car-Phase zum Ende des Rennens

Alles bereit fürs spannende Duell um den Sieg. Verstappen beließ es erstmal bei einem Rückstand von anderthalb bis knapp zwei Sekunden. Anders als noch in seinen wilderen Jahren agierte der hochbegabte Niederländer kontrollierter, kalkulierender. Auf Ferrari lastete nach reichlich Patzern und Strategiefehlern ohnehin der Druck, Ferrari-Boss John Elkann verfolgte das Geschehen an Ort und Stelle. Der abgestellte Aston Martin löste eine virtuelle Safety-Car-Phase aus. Leclerc kam an die Box für neue, mittelharte Reifen und reihte sich hinter Verstappen und Russell wieder ein.

Verstappen blieb draußen, er und seine Crew wussten: Leclercs Gummi müssten lange durchhalten. Knapp zur Hälfte der 53 Runden wurden an Verstappens Wagen die Medium-Reifen aufgezogen. Die zwei entscheidenden Fragen: Würde er Leclerc bei nun über zehn Sekunden Rückstand einholen können oder würde Leclerc noch einmal an die Box müssen? Leclerc bekam dann zügig die schnellste Mischung. 20 Runden waren noch zu fahren, 20 Sekunden betrug etwa der Rückstand. Sechs Runden vor dem Ende blieb der McLaren von Daniel Ricciardo stehen. Das Safety Car muss raus, Verstappens Vorsprung war dahin. Die Duellanten bekamen noch mal neue Reifen – umsonst.

Von Jens Marx und Martin Moravec, dpa