Im malerischen Sonnenuntergang von Paris genoss der neue Radsport-König Tadej Pogacar seine nächste Krönung, bei der Siegerehrung nach drei knallharten Wochen Tour de France strahlte der Slowene pausenlos.
Zuvor hatte der neue Dominator auf der Tour d’Honneur ein paar Trikots signiert und kleine Kunststücke mit dem Rad gezeigt. «Ich bin glücklich mit diesem Moment, genieße das und hoffe, das bleibt alles so», sagte der 22-Jährige, der als jüngster Profi in der Geschichte des größten Radrennens der Welt zweimal das Gelbe Trikot erobert hat. Im Schatten des mächtigen Arc de Triomphe sang er zur Hymne seines Landes.
Van Aert vermasselt Cavendish Rekord
Während für Pogacar der Gesamtsieg schon weit vor der letzten Etappe auf den Champs-Élysées feststand, wollte Sprinter Mark Cavendish am Sonntag die finale Krönung: Den 35. Tagessieg, mit dem er an Belgiens Legende Eddy Merckx vorbeigezogen und einen Jahrzehnte alten Rekord gebrochen hätte. Doch im Zentrum der Metropole gewann diesmal der Belgier Wout van Aert, es war sein dritter Etappensieg. Cavendish – diesmal Dritter – musste sich erstmals geschlagen geben.
Allrounder Van Aert komplettierte damit ein irres Triple: Er gewann erst auf der Bergetappe, auf der zweimal der Mont Ventoux erklommen werden musste, und legte am Schlusswochenende nacheinander zwei Tagessiege im Zeitfahren und im finalen Sprint nach. «Diese Tour ist Wahnsinn für mich. Mit so einem Wochenende die Tour zu beenden, ist einfach unglaublich», sagte van Aert. Während andere Profis wegen Olympia vorzeitig ausstiegen, zog der Belgier durch. «Heute Abend werde ich schon im Flieger sitzen», kündigte der 26-Jährige an, bevor er den eigenen Nachwuchs aufs Podium mitnahm.
Greipel im Finale Fünfter
Auf der letzten Tour-Etappe des Ende 2021 scheidenden André Greipel, der sich als Fünfter geschlagen geben musste, konnte Pogacar seinen Triumph voll auskosten. Mit seinen Teamkollegen von UAE lachte und scherzte der Gelb-Träger, gemeinsam mit den weiteren Slowenen schickte er ins TV-Bild eine Botschaft an den verletzt ausgestiegenen Rivalen und Landsmann Primoz Roglic. «Das ist eine andere Liga, die er berghoch fährt», sagte der Deutsche Nils Politt, womit die 21 Teilstücke bereits treffend zusammengefasst sind. Auch wenn Pogacar selbst sagt: «Ich sehe mich nicht als Boss.» 2021 war er es.
Knapp ein Jahr nach der slowenischen Party, als Pogacar Roglic den Gesamtsieg ganz am Ende noch stibitzte, darf die kleine Sportnation gleich den nächsten sportlichen Riesencoup bejubeln. «Tornado» Tadej, der diesmal durchweg glänzte und mit über fünf Minuten Vorsprung vor Jonas Vingegaard (Dänemark) und Richard Carapaz aus Ecuador lag, gewann neben dem Gelben Trikot auch das Weiße des besten Jungprofis und das Gepunktete des besten Bergfahrers. Landsmann Matej Mohoric rundete die slowenischen Festwochen mit zwei weiteren Tagessiegen ab.
Pogacar souverän wie einst Armstrong
Pogacar, der Alleskönner aus Komenda, hat die Tour in diesem Jahr geprägt wie seit dem inzwischen als Dopingsünder überführten Lance Armstrong vor rund 20 Jahren niemand mehr. Belgiens Ikone Merckx adelte den Doppel-Champion bereits: «Ich sehe in ihm den neuen Kannibalen. Er ist extrem stark. Ich denke, er wird in den kommenden Jahren die Tour mehrmals gewinnen.» Pogacar könne die Tour-Krone auch häufiger als fünfmal, was bislang die Rekordmarke ist, erobern.
Neben seiner exzellenten und taktisch fehlerfreien Leistung profitierte der Star des UAE-Teams auch von mehreren glücklichen Umständen. Hauptrivale Egan Bernal (Ineos) fuhr 2021 beim Giro d’Italia statt bei der Tour, die Gegner Roglic und Geraint Thomas stürzten früh und waren im Kampf um das Gelbe Trikot bereits in Woche eins raus. So fuhr Pogacar eigentlich ab seiner Solofahrt in den Alpen zwei Wochen dem Gesamtsieg entgegen, den er mit famosen Einzelerfolgen am Col du Portet und in Luz Ardiden noch garnierte.
Neben dem ganz jungen Pogacar war der deutlich ältere Cavendish der zweite große Star dieser 108. Ausgabe. Der Brite erschien nach ganz harten Jahren plötzlich wieder aus der Versenkung und gewann vier von fünf Sprintfinals. Mit dem finalen Coup im prächtigen Zentrum von Paris hätte er Rekordhalter Merckx abgelöst, so bleibt es zunächst bei einem 34:34. Beide hatten sich vor der 19. Etappe am Freitag innig und freundschaftlich umarmt.
Für Routinier Greipel, dem auf seiner elften Tour kein Tagessieg mehr gelingen wollte, war es ein versöhnlicher Abschied vom größten Rennen der Welt. Im Finale wurde der 39 Jahre alte Rostocker Fünfter, er vollbrachte insgesamt mehrere Top-10-Plätze und quälte sich tapfer über die Pässe in den Alpen und Pyrenäen. «Ich konnte es noch ein bisschen genießen, das letzte Mal den Tourmalet und den Mont Ventoux hochgefahren zu sein. Das nächste Mal habe ich ein E-Bike oder grille Würstchen», sagte Greipel in der ARD. Nach Tour-Ende sagte er: «Ich habe zweimal hier gewonnen, das kann mir keiner mehr nehmen.»
Für das große deutsche Highlight in den Wochen von Brest bis Paris sorgte Bora-hansgrohe-Profi Nils Politt, der mit einer furiosen Flucht die Etappe nach Nimes gewann. Zeitfahrspezialist Tony Martin musste nach mehreren Stürzen aufgeben, der frühere Gesamtvierte Emanuel Buchmann blieb nach einer Krankheit während des kompletten Rennens hinter den Erwartungen zurück. Eine Pause gibt es für die Radprofis nun nicht: Ein Großteil des Pelotons reist nach 3414,4 Kilometern in Frankreich unmittelbar nach Japan, wo am Samstag rund um den Fuji-Berg das olympische Straßenrennen auf dem Programm steht.