Der scheidende DOSB-Präsident Alfons Hörmann fühlt sich durch Machenschaften hinter den Kulissen aus dem Amt gedrängt.
«Den von einigen angestrebten Wechsel hätte man ganz anders, offener und fairer regeln können, wenn diese den Mut gehabt hätten, mir direkt in die Augen zu blicken», sagte der 61-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Dann hätte der Neubeginn ohne die vielfältigen Kollateralschäden für den deutschen Sport ablaufen können.» Hörmann war der Vorwurf gemacht worden, mit eine «Kultur der Angst» im Deutschen Olympischen Sportbund geschaffen zu haben.
Sind Sie von dem anonymen Brief Anfang Mai von Mitarbeitern des DOSB, in dem der Vorwurf erhoben wurde, es herrsche eine «Kultur der Angst» in der Frankfurter Zentrale, gänzlich überrascht worden?
Alfons Hörmann: Da kann ich für mich, aber auch für das Präsidium und den Vorstand sprechen. Keiner von uns hatte eine wie auch immer geartete Vorahnung. Insofern waren wir alle völlig perplex und konnten die urplötzlich artikulierten Vorwürfe genauso wenig nachvollziehen wie den eingeschlagenen Weg des anonymen und öffentlichen Schreibens. Wir haben einen Ombudsmann, eine Ethikkommission und einen Betriebsrat im DOSB, die die Möglichkeit bieten, problemlos alles, was man auf dem Herzen hat, offen oder anonym zu platzieren.
Sie haben nach der Veröffentlichung und der Resonanz darauf schnell angekündigt, nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung zu stehen. Warum die rasche Rückzugsankündigung? Die Untersuchung der Ethikkommission fand die meisten Vorwürfe nicht bestätigt.
Hörmann: Von den konkreten Vorwürfen aus dem Schreiben ist nur ein einziger gerügt worden, nämlich, dass Präsidium und Vorstand in zwei oder drei Sitzungen sich zwar an die gesetzlichen Vorgaben, aber nicht an die uns selbst auferlegten höheren DOSB-Auflagen in Hinblick auf die Maskenpflicht gehalten haben. Der zweite zentrale Vorwurf war die angebliche Kultur der Angst. Diesen kann man nicht einfach belegen oder widerlegen und somit in kurzer Zeit auch nur sehr schwer aus der Welt schaffen. Überraschenderweise kam dann von der Ethikkommission eine zusätzliche sportpolitische Einordnung und die damit verbundene Empfehlung vorgezogener Neuwahlen und eines Vertrauensvotums. Das Präsidium hat daraufhin beschlossen, den Weg der Neuwahlen zu gehen. Vizepräsident Kaweh Niroomand und ich haben uns entschieden, dies nicht zu tun.
Warum?
Hörmann: Ich habe 2018 mit einer Gegenkandidatur schon einmal erlebt, wie ein solches Szenario aussieht. Das Wahlergebnis war mit 84:16 der Stimmen ein hervorragendes. Es ist aber nicht das eingetreten, was die Ethikkommission auch für den aktuellen Fall erwartet hätte, nämlich, dass Ruhe im Dachverband einkehrt und sich alle hinter dem gewählten Präsidium versammeln. Wenn sie im Nachgang zu einer Wahl, wie ich es erlebt habe, mehr oder weniger permanent weiter infrage gestellt und attackiert werden, kommt der Punkt, an dem die Amtsausübung für den Sport im Sinne einer schlagkräftigen Interessensvertretung mehr und mehr leidet. Nach dieser Erfahrung habe ich mir die Frage gestellt: Wie geht es weiter, wenn auch ich persönlich der Empfehlung der Ethikkommission folge?
Zu welcher Antwort sind Sie gelangt?
Hörmann: Das hätte nichts anderes bedeutet, als dass wir sechs Monate Wahlkampf bis zum Dezember 2021 gehabt hätten. Zudem war mir auch klar, dass 2022 erneut Wahlen stattfinden, weil dann die offizielle Wahlperiode endet. Damit wäre ein anderthalbjähriger Dauerwahlkampf auf mich und den DOSB zugekommen. Ich weiß, was es heißt, permanent im Fokus und im Feuer zu stehen. Es ging mir dabei jedoch nicht um meine eigene Person, sondern was ein solches Szenario für die ganze Organisation und die Wahrnehmung der Interessen des gesamten Sports bedeutet hätte. Ich bin heute froh, damals so entschieden zu haben. Denn das oberste Ziel muss es ab Dezember wieder sein, eine möglichst große Geschlossenheit zu erreichen.
Sehen Sie die auch nach Ende Ihrer Amtszeit in Gefahr?
Hörmann: Das macht mir in Anbetracht der aktuellen Gemengelage durchaus Sorge. Denn es ist aktuell nicht erkennbar, dass es einen geschlossenen Aufbruch geben wird. Wer auch immer ins Amt kommt: Der- oder diejenige wird den gesamten Sport hinter sich benötigen, um entsprechende Wirk- und Schlagkraft entwickeln zu können.
Der DOSB hat zwei externe Studien bei Beratungsfirmen in Auftrag gegeben. Deloitte attestierte, die Bilanz ihrer Amtszeit von 2013 bis 2021 sei von Erfolgen geprägt gewesen. Das Unternehmen permitto ermittelte anhand von Mitarbeiter-Interviews: Im DOSB sei keine «Kultur der Angst» feststellbar. Ist das ein Reinwaschen?
Hörmann: Das sind zwei völlig unterschiedliche Themen – von Reinwaschen kann aber in beiden Fällen nicht die Rede sein. Weil wir um die Mechanismen von Analysen wissen, haben wir neutrale und öffentlich anerkannte Unternehmen beauftragt, damit nicht unterstellt werden kann, da wird ein Wunschergebnis produziert und dargestellt. Wir sind alle froh und erleichtert, dass unser Bild, das wir zum Zeitpunkt des anonymen Schreibens vom DOSB, den Mitarbeitern und der Organisation hatten, sich jetzt in der Kulturanalyse weitgehend bestätigt hat. Nicht nur im Guten, denn es sind auch Schwachstellen analysiert worden, die uns aus der Führungsverantwortung zum Teil bewusst waren. Unter dem Strich bleibt das wertvolle Fazit: Wenn von 159 Mitarbeitern bei 1272 Antworten nur ein einziges Mal der Begriff der Kultur der Angst genannt wird, ist das zwar einmal zu viel, aber die Bestätigung, dass die pauschale Unterstellung aus dem anonymen Schreiben in keiner Weise zutrifft.
Wie bewerten Sie die Deloitte-Studie?
Hörmann: Aus der anderen Analyse, der Deloitte-Studie, wird erkennbar, dass auf der einen Seite extreme Erwartungshaltungen unserer Mitgliedsorganisationen auf uns einprasseln, auf der anderen aber die Mitarbeiter sich schon heute bis in den Grenzbereich gefordert und zum Teil überlastet sehen. Nichtsdestotrotz lautet das Ergebnis, zu dem Deloitte kommt: der DOSB und der organisierte Sport insgesamt sind heute strukturell und wirtschaftlich deutlich besser aufgestellt als noch vor acht Jahren.
Nach der Veröffentlichung des anonymen Schreibens und Ihrer Ankündigung, im Dezember nicht für eine weitere Amtszeit zu kandidieren, hagelte es Kritik aus allen Ecken. Sie sind zum Buhmann des deutschen Sports geworden. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Hörmann: Sechs Monate später kann man weit besser erkennen, was damals und seither gelaufen ist. Mittlerweile liegen uns zahlreiche Informationen und Schriftstücke vor zu konspirativen Treffen, die es gab, um genau diese Form von Umsturz an der Spitze des DOSB herbeizuführen. Auch aus aktuellen Kandidaturen um die Nachfolge wird deutlich, weshalb einige damals schnell an die Mikrofone getreten sind und den Neubeginn gefordert haben. Da muss man nicht taktisch geschult sein, um zu ahnen, wo bei wem die wahren Motive lagen. Was mich bis zum heutigen Tagen entsetzt, ist der Punkt, dass dieses Ziel in Form des anonymen Schreibens mit einer Instrumentalisierung der Belegschaft des DOSB verbunden wurde. Inzwischen wird das Wohl der Mitarbeiter in der öffentlichen Debatte kaum mehr thematisiert. Den von einigen angestrebten Wechsel hätte man ganz anders, offener und fairer regeln können, wenn diese den Mut gehabt hätten, mir direkt in die Augen zu blicken. Dann hätte der Neubeginn ohne die vielfältigen Kollateralschäden für den deutschen Sport ablaufen können.
Warum sind Sie nicht gleich zurückgetreten?
Hörmann: Wir haben im engsten Kreis auch darüber offen gesprochen, sind aber schnell zu dem Fazit gekommen, dass es unsere Pflicht und Schuldigkeit ist, das Team D und den DOSB nicht im Stich zu lassen und bis zum letzten Tag die Dinge verantwortungsbewusst umzusetzen und damit auch eine geordnete Übergabe zu gewährleisten. Genau daran arbeiten wir und werden alle gemeinsam einen deutlich besser aufgestellten Verband übergeben als wir ihn 2013 übernommen haben. Das lässt sich an Fakten und Zahlen aus der Deloitte-Studie gut belegen. Entscheidend für eine gute Zukunft wird jedoch sein, dass wir mit den Mitgliedsorganisationen wieder zu dem Teamgeist, zu der Geschlossenheit und zu der Einheit zurückfinden, wie wir das über zahlreiche Jahre in meiner Amtszeit hinweg auf eine sehr positive Art und Weise hatten. Nur dann wird der deutsche Sport weiterhin das starke Gewicht haben und die starke Stimme sein, die unabdingbar ist, um von der Breite bis in die Spitze Erfolge zu sichern.
In der Deloitte-Studie wird die Erhöhung der Fördermittel des Bundes für den Leistungssport von 132 auf 270 Millionen Euro, die positive Bewertung der Spitzensportreform oder des Krisenmanagements des DOSB in der Pandemie als Erfolg gewertet. Manche sehen Ihre Bilanz und Ihr Wirken jedoch viel kritischer.
Hörmann: In einem so extrem breit aufgestellten Dachverband mit völlig unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsorganisationen und zum Teil völlig gegensätzlichen Erwartungen wird es nie möglich sein, alle zufrieden zu stellen. Wer sich aber mit den Fakten und Zahlen sachorientiert beschäftigt wird hoffentlich zum Fazit kommen, dass wir alle gemeinsam viel Gutes für den Sport erreicht haben.
Wie würden Sie Ihr Krisenmanagement in der Pandemie beurteilen? Immerhin musste der Breitensport sehr lange stillstehen. Auch ihre Prognose eines Milliarden-Euro-Schadens für den Sport wurde kritisiert.
Hörmann: Die Organisation oder den Verband in Sport, Kultur oder anderen gesellschaftlichen Bereichen wird es nicht geben, der für sich sagen kann, dass in der Pandemie alles perfekt gelaufen ist. Wir reden über anderthalb Jahre massive Krise und es war auch für uns alle eine völlig neue Situation. Wenn man nun im Rückblick ein Fazit ziehen will, bleibt festhalten: Es ist uns leider über zahlreiche Monate nicht gelungen, den Sport so in Bewegung zu halten, wie wir es uns alle gewünscht haben. Besonders im Kinder- und Jugendbereich tut mir das in der Seele weh. Als einer derjenigen, der in endlosen Videokonferenzen mit der Sportministerkonferenz und zahlreichen Referentenrunden der Staatskanzleien sowie in politischen Gesprächen in Berlin unterwegs war, muss ich leider resümieren: Mehr war schlichtweg nicht möglich und durchsetzbar. Aus der Sicht vieler sind wir besser durch die Pandemie gekommen als andere gesellschaftliche Gruppen.
Es gibt viel mehr Geld für den Spitzensport, aber nicht mehr Medaillen. Die Bilanz der Olympischen Spiele in Tokio ist die schlechteste seit der Wiedervereinigung. Was läuft schief im deutschen Sport?
Hörmann: Ich weise seit Jahren darauf hin, dass Geld wichtig ist, dass es aber auch darum geht, die Strukturen in allen Bereichen des Leistungssports professionell anzupassen. Da ist viel passiert, aber da bleibt auch noch vieles zu tun. Und es geht um die entscheidende Frage, wie eine effiziente Leistungssportsteuerung in Deutschland in den kommenden Jahren gelingen kann. Es wird vom DOSB immer wieder entsprechende Steuerung und Führung gefordert. Doch es fehlen bei Licht betrachtet die Ein- und Durchgriffsmöglichkeiten, um dieser wichtigen Rolle gerecht zu werden. Weder Verbände noch Stützpunkte oder die weiteren Institutionen – zum Beispiel das wissenschaftliche Verbundsystem Leistungssport – sind in irgendeiner Form weisungsgebunden. Das erklärt die erheblichen Defizite und eine gewisse Ohnmacht, die wir an zahlreichen Stellen in der Führung und Organisation des Spitzensports haben. Deshalb ist meine These: Der Mittelaufwuchs war richtig und wichtig, es muss aber jetzt eine entsprechende Struktur entwickelt werden, damit eine wirkungs- und erfolgsorientierte Steuerung des Leistungssports möglich wird.
Wie blicken Sie der DOSB-Mitgliederversammlung 4. Dezember in Weimar entgegen? Wird es ein Gang nach Canossa – oder wird es eine Abrechnung mit ihren Kritikern geben?
Hörmann: Weder noch. Wir arbeiten professionell an einer ordnungsgemäßen Übergabe. Ich bin zuversichtlich, dass wir im Dezember einen DOSB übergeben, dessen Leistungen sich sehen lassen können. Wir übergeben eine Organisation mit unzähligen Projekten und komplexen Aufgabenstellungen, in der es Stärken und Schwächen, aber auch unglaublich viel Positives gibt. Insofern hoffe ich sehr, dass der gesamte deutsche Sport alles dafür tut, dass von Weimar ein positives Signal für die Zukunft ausgeht.
Es gibt in Thomas Weikert einen Kandidaten der Spitzenverbände und in Stefan Klett einen für die Landesverbände. Ist damit ein Konflikt der beiden großen Gruppen im DOSB programmiert?
Hörmann: Wir verfolgen diese Entwicklungen aufmerksam von der Seitenlinie. Wenn es zu einer Polarisierung kommen sollte, wäre dies das Schlechteste, was dem deutschen Sport in der aktuellen Situation passieren kann. Wir brauchen nach spannenden Wochen des Wahlkampfes und nach einer finalen Wahl keine weiteren wechselseitigen Angriffe und Querelen. Denn das wäre dann wohl verbunden mit der Konsequenz, dass bis zu den Wahlen 2022 ein Dauerwahlkampf über ein weiteres Jahr stattfinden würde. Oberstes Gebot für Weimar sollte deshalb das klare Ziel einer möglichst großen Geschlossenheit von Sportdeutschland sein.
ZUR PERSON: Alfons Hörmann (61) ist seit 2013 Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes. Er wird auf der Mitgliederversammlung am 4. Dezember in Weimar nicht mehr kandidieren. Von 2005 bis 2013 war er Präsident des Deutschen Skiverbands.