Emma Hinze sehnte den Urlaub auf Kreta herbei. Nachdem sich für die Serien-Weltmeisterin bei den Titelkämpfen auf der Olympia-Bahn von Paris eine weitere Gold-Chance zerschlagen hatte, zog die 25-Jährige einen Schlussstrich und stieg einen Tag früher aus der WM aus.
«Ich merke, dass mein Körper mir ein Zeichen gesetzt hat und ich das einfach akzeptieren muss. Es bringt mir gar nichts, wenn ich danach nur noch rückwärts laufe», begründete Hinze ihren Verzicht auf die abschließende Keirin-Disziplin.
Einen Vorgeschmack auf Olympia hatte sie ohnehin schon erhalten. Nicht nur gegen zwei bärenstarke französische Rivalinnen musste sie ankämpfen, sondern auch gegen 5000 Zuschauer, die im 500-Meter-Zeitfahren am Samstag die schwächeren Zeiten der deutschen Topfavoritin im Vergleich zu ihrem siegreichen Liebling Marie-Divine Kouamé frenetisch bejubelten.
Unfair oder einfach nur französischer Nationalstolz? Mit dieser Frage wollte sich Hinze nicht beschäftigen. «Ich habe nur davor und danach den Lärmpegel mitbekommen. Ich kann es nicht ändern. Wenn wir in Berlin fahren, ist das Publikum auf unserer Seite. Man muss damit umgehen», sagte die gebürtige Hildesheimerin. Ähnlich sah es Bundestrainer Jan van Eijden: «Die Frage ist: Ist das Publikum für die Franzosen oder gegen die Deutschen? Das ist Auslegungssache. Wenn du in Kolumbien bist, ist das ähnlich. Das ist bei den Briten auch ähnlich.»
Bilanz: Bronze, Silber und Gold
Gleichwohl sei der Hexenkessel eine gute Generalprobe für Paris 2024. «Es ist schon gut, dass man das mal so mitbekommt. Man kann sich dann auch ganz anders darauf einstellen», meinte Hinze, die nach zwei strapaziösen Jahren mit den Kräften am Ende schien.
Mit einem Medaillensatz – Gold im Teamsprint, Silber im Zeitfahren und Bronze im Sprint – reist Hinze in den Urlaub. Das ist eine Ausbeute, von der ihre schwächelnden männlichen Teamkollegen nur träumen können. Aber bei einer Ausnahmeathletin wie Hinze, die 2020 in Berlin mit 22 Jahren schon einen Dreifach-Coup gelandet hatte, werden oft andere Maßstäbe angesetzt. Erwartungen, die sie auch selbst an sich hat.
Schon nach Platz drei im Sprint hatte Hinze betont, «dass es mental anstrengend ist, wenn man immer die Gejagte ist». Druck, den sie bereits bei Olympia in Tokio verspürt hatte, als plötzlich die Leichtigkeit weg war und «nur» Silber im Teamsprint heraussprang. Danach hatte die Sprinterin auch Rat bei einer Sportpsychologin gesucht. Mit Drucksituationen hatte Hinze auch auf dem Holzoval in Saint-Quentin-en-Yvelines zu tun. Sie wolle sich von allen Zwängen befreien. «Ich muss gar nichts, ich muss einfach nur Spaß haben», sagte sie.
«Innerlich war ich da ein Angsthase»
Rekord-Weltmeisterin Kristina Vogel konnte sich gut in Hinze hineinversetzen. «Es ist superschwer, mit dem Druck umzugehen. Rückblickend kann ich ja sagen, dass ich hier und da auch mal mental ein Wrack war. Das habe ich nach außen nicht gezeigt, aber innerlich war ich da ein Angsthase. Im Halbfinale sind alle nervös», sagte Vogel der Deutschen Presse-Agentur und fand es gar nicht schlimm, dass Hinze und Co. bei der WM noch nicht alles dominiert haben: «Lieber bei der Generalprobe geht es schief und bei Olympia läuft es gut. Damit könnten wir leben. Man fällt, um wieder aufzustehen.»