Julian Green hörte weg. Der 28-Jährige ignorierte die Rufe der «Vollpfosten», wie sein Trainer Alexander Zorniger die nannte, die den Spieler der SpVgg Greuther Fürth während des Pokalspiels beim Halleschen FC rassistisch beleidigten.
Erst nach dem Sieg erzählte Green, was er hörte. Und wieder war der immer gleiche Ablauf zu beobachten: Ein Aufschrei, Solidaritätsbekundungen, Ermittlungen des Deutschen Fußball-Bundes. Wieder ein Einzelfall? Oder steigt wie in Teilen der Gesellschaft auch im Fußball die Tendenz zu rassistischen Ausfällen?
«Klar ist, jeder Fall ist einer zu viel», sagt DFB-Sprecher Michael Morsch. Die Statistiken des Verbands belegen für die vergangenen Jahre eine sinkende Zahl von rassistischen oder diskriminierenden Vorfällen in den Profiligen. In der Bundesligasaison 2016/2017 waren es demnach noch 35 Einträge, 11 im Folgejahr. Danach bewegten sich die Zahlen laut DFB-Statistik auf konstant niedrigem Niveau – zwischen einem Fall in der Saison 2018/2019 und drei Fällen in der vergangenen Spielzeit.
Bei der noch recht jungen Meldestelle für Diskriminierung im Fußball in Nordrhein-Westfalen zeichnet sich dagegen ein anderes Bild ab. «Eine Entwicklung, die wir aktuell wahrnehmen, sind vermehrt Hitlergrüße, die beobachtet und gemeldet werden», berichtet Projektleiterin Elena Müller aus dem Bundesland mit den meisten Profifußball-Clubs. Das Pilotprojekt dokumentierte seit Juli 2022 insgesamt 211 Hinweise zu rassistischen Vorfällen, 95 aus dem Profifußball.
«In den allermeisten Fällen handelt es sich um Fehlverhalten von Fans», sagt Müller. «Wir erfassen dabei nicht nur verbale oder körperlich übergriffige Vorfälle.» Es werden auch rassistische und rechte Symbole auf Stickern, Kleidung oder Bannern dokumentiert sowie – anders als beim DFB-Sportgericht – diskriminierende Beiträge in den sozialen Medien.
Hemmschwelle im Netz deutlich niedriger
Von Rassismus in sozialen Netzwerken berichteten in den vergangenen Monaten auch Dayot Upamecano und Mathys Tel (beide FC Bayern), Benjamin Henrichs (RB Leipzig), sowie die U21-Nationalspieler Youssoufa Moukoko (Borussia Dortmund) und Jessic Ngankam (Eintracht Frankfurt). Die Hemmschwelle im Internet erscheint noch einmal deutlich geringer. Wie bei Green hieß es in allen Fällen von den Verbänden und Vereinen, die Anfeindungen würden «aufs Schärfste» verurteilt. Reicht das?
Laut Daniela Wurbs von der Beratungsstelle «Kick In!» für Inklusion im Fußball braucht es mehr: «Sich in schnellen Statements zu distanzieren, ohne dass Taten folgen, hilft vor allem den Tätern und lässt potenziell Betroffene an der Glaubwürdigkeit des Engagements und der Sicherheit im Stadion zweifeln.» Es müsse mehr sensibilisiert werden, fordert Wurbs. «Da geht es um Spieler, Funktionäre und Mitarbeiter, die Strukturen umstellen müssen», sagt sie. «Der deutsche Profifußball ist nun einmal auf Führungsebene meist weiß und männlich.»
Zorniger: «Aufstehen und sagen: Das geht nicht!»
Fürth-Trainer Zorniger nahm dagegen insbesondere die Zuschauer der Halle-Partie in die Pflicht. «Das Stadion ist zu 95 Prozent ausgelastet. Es waren genug Leute da, die hätten eingreifen können», sagte der Trainer und fordert: «Aufstehen und sagen: Das geht nicht!» Denn: «Wenn wir das nicht machen, dann kriegt das braune Gesocks, das auch noch im Bundestag sitzt, immer mehr Oberwasser. Das darf einfach nicht passieren.»
Wachsender Zuspruch für die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) hat laut Michael Gabriel bisher wenig Auswirkung auf die Situation in den Kurven. Er leitet die Koordinationsstelle Fanprojekte bei der Deutschen Sportjugend (dsj), die bereits seit mehreren Jahrzehnten die deutsche Fußball-Fanszene begleitet. Demnach finden Themen und Ziele der AfD keine auffällige Resonanz. «Die Partei will demokratische Prinzipien schwächen, die Fans wehren sich nicht nur gegen Rassismus und Rechtsextremismus, sondern kämpfen unter anderem für mehr Mitspracherecht», betont der Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekte. Da gebe es kaum Überschneidungen.
Auch Inklusions-Expertin Wurbs sieht ein wachsendes Engagement: «In den letzten Jahren haben zahlreiche Vereine und Fanszenen in Deutschland verstärkt Anlaufstellen für Betroffene von Diskriminierung im Fußball geschaffen», berichtet die «Kick-In»-Projektleiterin. Die Stellen seien vor allem rund um Spieltage aktiv, aber nicht nur. «Die UEFA plant nun auch zur EURO 2024 diese Strukturen zu nutzen und erstmals solche Anlaufstellen für Betroffene im Rahmen des Turniers einzurichten.»