Sanés falsche Emotionen: Mea culpa nach der Dummheit

Leroy Sané wusste genau, war er zu tun hatte. Nach dieser Dummheit war im Neonlicht des Kellergangs im Ernst-Happel-Stadion ein Mea culpa fällig. Mit dem Schuldeingeständnis nach seiner Roten Karte im finalen und völlig missratenen EM-Testländerspiel des Jahres gegen Österreich konnte der 27-Jährige zwar die allgemeine deutsche Fußball-Frustration nicht vertreiben. Seine mit sanfter Stimme vorgetragene Selbstbeschreibung als Sündenbock war aber eine verbale Flucht nach vorn. 

«Das Spiel geht heute auf mich, das geht auf meine Kappe. Da muss ich mich beherrschen, das kann nicht passieren, da habe ich die Mannschaft im Stich gelassen», sagte Sané. Zuvor hatte ihn ein Mitarbeiter der DFB-Medienabteilung zentral vor den aufgebauten Kameras platziert. Die Aktion wirkte ein wenig orchestriert. 

Dennoch gereichte ihm das Statement zur Ehrenrettung. Zu anderen Zeiten wäre der Fußball-Profi Sané nach so einer Aktion womöglich wortlos mit großen Kopfhörern über den Ohren durch die sogenannte Mixed Zone marschiert.

Vergleichsmöglichkeiten gibt es nicht. Sané kassierte nach der Schubs-Attacke gegen Österreichs Mainzer Philipp Mwene den ersten Platzverweis seiner keineswegs immer geradlinigen Karriere. Es war der 27. Platzverweis in der DFB-Länderspielhistorie. 

Auf der Liste befinden sich prominente Namen von Günter Netzer bis Lothar Matthäus, Miroslav Klose und Bastian Schweinsteiger. Robustere Charaktere wie Carsten Ramelow oder Jérôme Boateng erwischte es sogar zweimal. Das nützt Sané aktuell aber nichts. 

Minimum drei Spiele Sperre

Über die bevorstehende Sperre redete er noch nicht, aber möglicherweise hat das mediale Reuebekenntnis noch einmal eine Bewandtnis, wenn der zuständige Weltverband FIFA über die Sanktion entscheidet. Drei Spiele Minimum sehen die Statuten für eine Tätlichkeit dieser Art vor. Es könnten auch mehr werden. 

Fest steht damit schon, dass Sané frühestens im letzten von noch vier geplanten EM-Testspielen bis zur Auftaktpartie am 14. Juni in der Münchner Arena wieder mitwirken kann. Nagelsmann muss die finale Vorbereitung jedenfalls ohne den zuletzt wegen auffällig guter Form gesetzten Münchner angehen. 

Eine Turniersperre droht Sané immerhin nach derzeitigem Sachstand nicht. Es wäre ansonsten die dramatische Fortsetzung seiner bislang frustrierenden torlosen EM- und WM-Historie mit der Last-Minute-Ausbootung 2018 durch Joachim Löw und der Verletzung kurz vor dem Auftaktspiel in Katar vor genau einem Jahr als negativen Höhepunkten. 

Nur in ganz bestimmten, gravierenderen Ausnahmefällen kann eine Sperre auf andere Wettbewerbe ausgedehnt werden. Das Turnierschicksal von Mike Hanke bleibt Sané damit erspart. Der einstige Wolfsburger wurde im Spiel um Platz 3 des Confed Cups 2005 gegen Mexiko des Feldes verwiesen. Seine Sperre musste er daher in den ersten beiden WM-Spielen 2006 absitzen. Der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann nominierte ihn dennoch. Hanke war dann im Spiel um Platz 3 gegen Portugal (3:1) dabei.

Sané will definitiv mehr Turnierspiele bestreiten im kommenden Sommer. Und seine Leistungen waren zuletzt vielversprechend. Club-Trainer Thomas Tuchel und Bundestrainer Nagelsmann hatten den nicht immer einfachen Charakter zu Bestleistungen motiviert. Nur bei den November-Spielen im DFB-Trikot gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) war wieder der Wurm drin. 

«Das war nichts Persönliches gegen Philipp, das war meine eigene Leistung, wie gesagt, das darf mir nicht passieren», erklärte Sané den unrühmlichen Rot-Vorfall. «Ich bin motiviert, ich will, dass wir in die richtige Richtung gehen», sagte er. 

Kollegen zeigen auch Verständnis

Das mit den fehlenden Emotionen, von denen Sané die falschen und davon zu viel zeigte, hatte Nagelsmann jedenfalls anders gemeint. Dennoch sprangen ihm der Coach und auch Mitspieler öffentlich zur Seite. «Es sind normale Emotionen, die passieren. Es war natürlich nicht förderlich für die Mannschaft. Es ist irgendwie auch Fußball. Es gehört auch dazu, emotional zu sein», sagte Mittelstürmer Niclas Füllkrug. 

Nagelsmann monierte eher fehlende Cleverness. Sané hätte in der Situation auch eine Rote Karte für seinen Gegner provozieren können, statt selbst vom Platz zu fliegen. «Das ist auch so ein Reifeprozess, ein bisschen so die Drecksackmentalität», sagte der Bundestrainer. 

Rudi Völler war nicht so nachgiebig. «Man kann Fehler machen, auch Leroy hat sich bei der Mannschaft entschuldigt in der Kabine. Das ist alles schön und gut, aber, klar, man muss Leidenschaft am richtigen Zeitpunkt zeigen», monierte der DFB-Sportdirektor, der 1990 bei der WM nach der Spuckattacke von Hollands Frank Rijkaard – völlig unberechtigt – vom Platz geflogen war.

Arne Richter und Jan Mies, dpa