Schicksalssiege für Sprint-Rivalen Jakobsen und Groenewegen

Dylan Groenewegen setzte sich erschöpft auf einen kalten Bordstein und wurde von seinen Gefühlen überwältigt. Nach seinem Sieg auf der dritten Etappe der Tour de France in Sønderborg flossen die Tränen bei dem Niederländer.

Wie schon sein Landsmann Fabio Jakobsen am Tag zuvor übermannten ihn die Gefühle. Jakobsen und Groenewegen hatten vor zwei Jahren für eines der größten Sturz-Dramen im Radsport gesorgt. Sturzopfer Jakobsen kämpfte nach dem Crash um sein Leben, Bad Boy Groenewegen wurde monatelang gesperrt. Jetzt feierte jeder am Wochenende einen Etappenerfolg, als ob es Siege des Schicksals waren.

«Fabio war sehr, sehr stark. Ich gratuliere ihm zu seinem Sieg, nun habe auch ich gewonnen. So ist das bei der Tour», sagte ein sichtlich mitgenommener Groenewegen. «Es war ein langer Weg. Ich kann mich nur bei meinem Team, meiner Familie und meinen Freunden bedanken. Mental war es eine schwere Zeit, nach allem, was passiert ist.» Der 29-Jährige widmete den Erfolg seiner Frau und seinem Sohn.

Anfang August 2020 hatte Groenewegen Jakobsen auf der ersten Etappe der Polen-Rundfahrt im Sprint bei 80 Kilometern pro Stunde in die Absperrgitter gedrängt. Er galt daraufhin lange als Persona non grata, wurde mehrere Monate gesperrt.

Das Gelbe Trikot des Gesamtführenden nimmt der erneut zweitplatzierte Belgier Wout van Aert mit nach Nordfrankreich, wo die Tour nach dem Transfer am Dienstag fortgesetzt wird. In einer komfortablen Ausgangsposition ist Titelverteidiger Tadej Pogacar, der sich zwar bei einem Massensturz am Samstag leicht an der Hand verletzte, gegenüber seinen ärgsten Herausforderern Primoz Roglic und Jonas Vingegaard einige Sekunden Vorsprung hat. Die deutschen Etappenjäger Lennard Kämna, Nils Politt und Maximilian Schachmann werden ihre Chancen noch bekommen.

Jakobsen: «Fast schon ein Märchen»

Vorerst gehören die Schlagzeilen Jakobsen und Groenewegen. Schon mit dem Etappensieg am Samstag war Jakobsen etwas gelungen, was ihm vor gut zwei Jahren niemand zugetraut hatte. Schließlich war er an jenem Schicksalstag in Polen nur knapp dem Tod entronnen. «Man kann denken, dass es ein Wunder ist. Es ist auf jeden Fall eine besondere Geschichte. Fast schon ein Märchen», sagte Jakobsen fast 700 Tage später als Tour-Etappensieger.

Der Profi vom Team QuickStep-AlphaVinyl lag im künstlichen Koma, wurde zigmal operiert, allein sein zerschmettertes Gesicht musste mit 130 Stichen genäht werden. Einen Kiefer hat er heute nur, weil die Ärzte diesen aus Teilen seines Beckenknochens neu formten. «Ich hoffe, dass mein Sieg viele Leute zu Hause glücklich gemacht hat», sagte der 25-Jährige. Seine Verlobte, seine Schwester, seine Eltern und sein Team gaben ihm die Kraft, seine Leidenszeit zu überstehen.

Mit seinem Erfolg ließ Jakobsen auch die Kritiker verstummen, die lieber seinen britischen Teamkollegen Mark Cavendish statt ihn bei der Tour gesehen hätten. Immerhin hätte der 37-Jährige mit einem Tagessieg bei der diesjährigen Tour seinen 35. Etappensieg und damit einen Rekord feiern können. Doch Teamchef Patrick Lefevere hatte andere Pläne. «Ich bin alt und weise und der Sieger hat immer Recht. Also im Moment bin ich im Recht», sagte Lefevere und schickte hinterher: «Ich muss mich nicht vor Leuten rechtfertigen, die nicht klug genug sind, um einige Dinge zu verstehen.»

Durch den Auftakterfolg in Kopenhagen und dem Sieg in Nyborg hat die belgische Mannschaft zwei von drei Etappen gewonnen. Ob das Team noch weitere Siege feiern kann, hängt von den Coronatests ab. An den ersten beiden Tour-Tagen musste zahlreiche Betreuer nach Hause aufgrund von positiven Tests nach Hause reisen. Darunter waren der Sportchef Tom Steels, ein Ernährungsberater und der Pressechef. «Wir können uns nur so gut wie möglich schützen. Ich habe vor dem Coronavirus genauso viel Angst wir vor dem Zeitlimit», sagte Jakobsen. Bis das in den Bergen eine Rolle spielt, hat der Sprinter noch eine gute Woche Zeit.

Von Tom Bachmann und Tom Mustroph, dpa