«Schlag ins Gesicht» – Djokovic-Genehmigung sorgt für Ärger

Wut, Empörung, Unverständnis: Die medizinische Ausnahmegenehmigung für einen Australian-Open-Start von Novak Djokovic hat heftige Reaktionen hervorgerufen.

Während sich prominente Tenniskollegen zunächst zurückhielten, sorgte die erwartete Einreise des offenbar ungeimpften Weltranglisten-Ersten aus Serbien vor allem in Australien für «Zorn und Konfusion», wie es der Sender ABC nannte. Andere Äußerungen reichten von «Ohrfeige für alle Australier» bis «Schlag ins Gesicht für Millionen von Australiern». Turnierdirektor Craig Tiley verteidigte die umstrittene Entscheidung, bat den 20-maligen Grand-Slam-Sieger aber um Nennung seiner Gründe.

Kohlmann: «Es sind noch viele Fragezeichen da»

«Ich war auch absolut überrascht», sagte der deutsche Davis-Cup-Kapitän Michael Kohlmann der Deutschen Presse-Agentur. «Es sind noch viele Fragezeichen da. Hoffentlich werden die in den nächsten Tagen und Wochen bis zum Start beantwortet.» Das erste Grand-Slam-Turnier der neuen Saison startet am 17. Januar in Melbourne. Nur Spieler und Spielerinnen, die gegen das Coronavirus geimpft sind oder eine medizinische Ausnahmegenehmigung erhalten haben, dürfen daran teilnehmen.

Am Vortag hatte der 34 Jahre alte Branchenprimus nach wochenlangem Schweigen und Zaudern mitgeteilt, dass er nun dank genau einer solchen Ausnahmegenehmigung nach Australien fliegen werde. Seinen Impfstatus hat er bislang nicht öffentlich gemacht. Brisanz verspricht nun schon die Landung Djokovics auf australischem Boden – und natürlich dessen erster Auftritt bei dem Turnier, das er bereits neunmal gewonnen hat, bei dem er als Titelverteidiger antritt und mit einem Sieg seine Konkurrenten Roger Federer und Rafael Nadal mit Grand-Slam-Triumph Nummer 21 als Solist hinter sich lassen kann.

Wie reagieren Fans, Medien, Sponsoren? Es sei «die patriotische Pflicht» aller Zuschauer, Djokovic während seines gesamten Aufenthalts auszubuhen, twitterte die Journalistin Samantha Lewis.

Die Erlaubnis ist «eine erschreckende Botschaft»

Ungemach könnte dem weltbesten Spieler aber schon bei der Einreise drohen. Premierminister Scott Morrison forderte ausreichende Belege. «Er muss das tun, denn wenn er nicht geimpft ist, muss er einen akzeptablen Nachweis erbringen, dass er aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann, um Zugang zu den gleichen Reiseregeln wie vollständig geimpfte Reisende zu erhalten», sagte Morrison. Sonst werde Djokovic «im ersten Flieger nach Hause» sitzen.

Auch Innenministerin Karen Andrews sprach Klartext: «Jede Person, die nach Australien einreisen möchte, muss unsere strengen Grenzbestimmungen einhalten», betonte sie. Die Regionalregierung des Bundesstaates Victoria und Tennis Australia könnten einem nicht geimpften Spieler zwar die Teilnahme an dem Turnier gestatten, die Grenzregeln würden jedoch von der Nationalregierung überwacht.

Und diese Regeln sind und waren in Pandemie-Zeiten streng. «Es ist mir egal, wie gut er als Tennisspieler ist. Wenn er sich weigert, sich impfen zu lassen, sollte er nicht reingelassen werden», sagte der prominente Arzt Stephen Parnis aus Victoria. Die Erlaubnis sei «eine erschreckende Botschaft» an Millionen Australier.

Zeitung: «Die Ausnahmegenehmigung ist Heuchelei»

«Es ist traurig für die Bewohner dieses Landes, denen während dieser Pandemie immer wieder internationale und zwischenstaatliche Reisen verweigert wurden, selbst um ihre sterbenden Lieben zu sehen. Für diejenigen, die von ihren Kindern getrennt wurden oder nicht an der Beerdigung eines engen Freundes oder Familienmitglieds teilnehmen konnten», schrieb «The Canberra Times» und resümierte: «Leider sind die Regeln anders, wenn Sie ein globaler Sport-Superstar sind.»

Genau diese Vorwürfe versuchte Turnierchef Tiley zu zerstreuen. Die Erlaubnis sei nach strenger Überprüfung durch zwei unabhängige Expertengremien erteilt worden. Djokovic habe einen «völlig legitimen Antrag» gestellt und den notwendigen Prozess durchlaufen. Zugleich forderte Tiley jedoch Djokovic auf, die Gründe bekannt zu geben.

«Ich würde mir wünschen, dass er zur Gemeinschaft redet. Ich würde es schätzen, Antworten zu erhalten», sagte Tiley. 26 Profis oder Betreuer hätten eine Ausnahmegenehmigung beantragt, nur eine Handvoll diese auch tatsächlich erhalten. «Die medizinische Ausnahmegenehmigung für Novak Djokovic, damit er die Australian Open spielen kann, ist eine kranke Heuchelei», schrieb die britische Zeitung «The Herald Sun». «Seine Teilnahme ist eine Beleidigung für jeden Australier, der wegen Covid durch die Hölle gegangen ist.»

Von Carola Frentzen und Wolfgang Müller, dpa