Schweizer feiern den «Wahnsinn» von Bukarest

Daheim in der Schweiz tanzten und sangen schon Hunderte Fans in rot-weißen Trikots auf den Straßen, als Granit Xhaka in Bukarest eine Warnung an den kommenden Gegner schickte.

Die unvergessliche Nacht nach dem historischen EM-Coup gegen den Weltmeister werde jetzt gefeiert. Dann aber gehe es «voll auf das Spiel» gegen Spanien am kommenden Freitag im ersten Schweizer Viertelfinale bei einer Fußball-EM, sagte der dann gesperrte Nati-Kapitän vom FC Arsenal spät mit fester Stimme und kündigte anschließend «ein Heimspiel von mir in London» an – im Halbfinale.

Gladbach-Torwart wird zum Helden

Die Schweiz träumt groß nach diesem 5:4 (3:3, 3:3, 1:0) im Elfmeterschießen gegen Frankreich in der rumänischen Hauptstadt. «Wahnsinn», schrieb die Zeitung «Blick» noch am Abend. «Sommer hext die Nati in den EM-Viertelfinal». Yann Sommer hatte in seinem 65. Länderspiel, mit dem er den bisherigen Schweizer Rekordkeeper Erich Burgener ablöste, den entscheidenden Elfmeter gegen Kylian Mbappé pariert. Es folgte grenzenloser Jubel. «Wahnsinn», sagte auch der 32 Jahre alte Torwart von Borussia Mönchengladbach. «Ich rufe nachher mal Robert De Niro an, ob er Lust hat, die Rolle zu spielen.»

Das Spiel in der Arena Națională würde wahrlich gut nach Hollywood passen. Der Ex-Frankfurter Haris Seferovic (15. Minute) hatte die Schweiz schon früh träumen lassen. Nach Toren von Karim Benzema (57. und 59.) und Paul Pogba (75.) sah dann der Weltmeister wieder wie der Sieger aus. Doch erneut Seferovic (81.) und Mario Gavranović (90.) erzwangen die Nachtschicht. «Yann Sommer wird in seinem Rekordspiel zum Schweizer Helden!», twitterte die Gladbacher Borussia wohl durchaus stolz.

Für die mitgereisten Schweizer Fans gab es kein Halten mehr – ebenso für die daheim. Ein einzelner Anhänger (zunächst) im rot-weißen Trikot im Bukarester Stadion wurde noch in der Nacht zum Internet-Hit. Ein Bild kurz vor dem rettenden Ausgleich zum 3:3 zeigt ihn bangend, hadernd und noch angezogen – ein weiteres nur wenige Sekunden später nach dem Treffer von Gavranović wild jubelnd, schreiend und oberkörperfrei. Der «Blick» berichtete, den 28 Jahre alten Fan gefunden zu haben und interviewte ihn nach der Rückkehr am Flughafen. «Das ist verrückt. Auf so viel Aufmerksamkeit war ich nicht vorbereitet», ich bin doch nur ein normaler Fan», sagte er.

«Ein unglaublicher Fußballabend»

Die Emotionen waren nachvollziehbar, erst recht für die Spieler. «Es war ein unglaublich schönes Gefühl», sagte Xherdan Shaqiri über den entscheidenden Moment, als Sommer zum Helden geworden war. «Wir haben alle gelitten und dafür gekämpft. Das war ein Verdienst der ganzen Mannschaft.» Auch Sommer betonte seinen Stolz auf seine Mitspieler. «Es war ein unglaublicher Fußballabend», sagte der Gladbacher.

Vor dem Turnier war das so nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Berichte über vermeintliche Streitereien und insbesondere Eitelkeiten hatten die Nati begleitet. «Ich habe immer schon gesagt, diese Mannschaft verdient mehr als geschrieben wurde», sagte Xhaka. «Jeder Schweizer kann auf diese Mannschaft stolz sein.» Er persönlich, führte der Arsenal-Profi gut gelaunt aus, habe ja schon vor der Partie gewusst, «dass wir Geschichte schreiben».

Als seine ausgelassen jubelnden Mitspieler schon zu den Fans in der Kurve gerannt waren, hatte sich der Kapitän kurzum für die andere Richtung entschieden. Xhakas erster Weg führte direkt in die Arme von Trainer Vladimir Petkovic, der ein Sonderlob von Vorgänger Ottmar Hitzfeld erhielt. Das Team sei von ihm «perfekt eingestellt und überragend gecoacht» worden, sagte der langjährige Bundesliga-Trainer von Borussia Dortmund und des FC Bayern München dem «Blick».

Deshalb traut Hitzfeld, der 2014 nach sechs Jahren als Nationaltrainer des Teams seiner Wahlheimat zurücktrat und an Petkovic übergab, der Nati trotz des Ausfalls des nach zwei Gelben Karten gesperrten Kapitäns Granit Xhaka auch gegen Spanien einiges zu. «Die Jungs haben mit enormen Teamspirit gezeigt, wie man im Fußball unmöglich Scheinendes möglich macht», sagte er. Für Dominique Blanc, den Präsidenten des Schweizerischen Verbandes ist jedenfalls klar: «Das war ein historischer Tag für den Schweizer Fussball. Aber wir wollen die Geschichte weiterschreiben.»

Von Jan Mies, dpa