Die netten Worte von Weltrekordler Paul Biedermann sorgten bei Fast-Medaillengewinner Henning Mühlleitner für ein weiteres Leuchten in den Augen.
Nach 13 Jahren ohne deutsche Olympia-Ehren im Becken fehlten dem Überraschungsschwimmer nur 13 Hundertstelsekunden zum Bronze-Glück, aber hadern mochte der 24-Jährige nach den größten Tagen seines Sportlerlebens keineswegs.
«Ich habe angeschlagen und wusste, es war alles, was ich hätte geben können. Das ist für mich die größte Genugtuung», sagte der zufriedene Mühlleitner. «Den kleinen Wermutstropfen vierter Platz – den muss ich, glaube ich, so hinnehmen.»
Keine Spur von Ärger
Stunden nach seinen furiosen 3:44,07 Minuten und Rang vier über 400 Meter Freistil präsentierte sich der Schwimmer aus Neckarsulm beim TV-Auftritt weiter mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht. Keine Spur von Ärger war zu erkennen, dass zur ersten Medaille für das Beckenteam seit Doppel-Gold von Britta Steffen 2008 nur eine Winzigkeit gefehlt hatte. «Starkes Rennen von Henning Mühlleitner, der genau sein Rennen durchgezogen hat», lobte Biedermann, der sich den Wecker für das Rennen in der deutschen Nacht gestellt hatte. «Sehr schade um diesen knappen vierten Platz.»
Das dürften auch die Eltern in der Heimat gedacht haben, von denen Mühlleitner eine nette Anekdote berichtete. Es gebe keine Chance, dass sich seine Mutter wegen der großen Aufregung seine Rennen anschauen könne, erzählte Mühlleitner in der ARD. «Sie läuft so weit es geht weg vom Haus in den Garten und läuft da hoch und runter – wahrscheinlich läuft sie mehr, als ich in der Zeit schwimme.»
Am Tag mit Gänsehautmomenten durch reichlich Freudentränen der Japanerin Yui Ohashi nach dem Sieg über 400 Meter Lagen und dem Weltrekord der australischen Freistil-Frauen über 4 x 100 Meter dokumentierte vor allem Mühlleitner, dass nach den Olympia-Nullnummern von London 2012 und Rio 2016 die Rückkehr in die Medaillenränge für das deutsche Team nicht mehr fern ist. Erste Anwärter im Team sind Doppel-Weltmeister Florian Wellbrock und Vize-Weltmeisterin Sarah Köhler über die noch längeren Freistilstrecken, die zu Wochenbeginn einsteigen.
Zuvor recht unbekannt
«Die machen auf mich einen guten Eindruck, aber das würde ich von jedem im Team behaupten», sagte Mühlleitner. Er habe die Mannschaft «gut beflügelt», befand Mühlleitner und ergänzte für die kommenden Rennen: «Ich hoffe, wir heizen nochmal richtig an.» Erstmal glückte das noch nicht perfekt. Im Halbfinale über 100 Meter Brust schieden Lucas Matzerath (9.) und Fabian Schwingenschlögl (10.) knapp aus.
Henning wer? Bis zum Vorlaufsieg in 3:43,67 Minuten war der EM-Dritte von 2018 sicher nicht der großen Sportöffentlichkeit bekannt. Wie auch der 18-jährige Ahmed Hafnaoui nicht, der sich in 3:43,36 Minuten überraschend zum Olympiasieger krönte. Seine Freudenschreie waren ebenso imposant wie die Jubeleinlage seines Trainers, der auf der Tribüne ausflippte.
Auch Mühlleitner war «maximal» zufrieden. «Jetzt ist es natürlich die Blechmedaille oder Holzmedaille oder wie auch immer man es nennen mag, aber das stört mich relativ wenig», sagte er schon kurz nach dem Rennen mit einem Lächeln. Seine Performance unterstreicht aber das, was aus DSV-Kreisen seit zwei Jahren angedeutet und erhofft wird: Auch für Außenseiter sind Höhepunkt-Überraschungen drin.
Wellbrock verzichtete
Dass Mühlleitner in Tokio starten konnte, verdankt er auch dem Verzicht von Zweifach-Weltmeister Wellbrock. Der aussichtsreichste deutsche Medaillenkandidat konzentriert sich auf die ganz langen Distanzen und hatte auf seinen Startplatz zugunsten seines Kumpels Mühlleitner verzichtet.
Vor seinem großen Finale holte sich der Neckarsulmer nochmal Rat bei Wellbrock: «Wie bleibst du da so cool?», war die zentrale Frage und offenbar half Wellbrocks Antwort. Ohne zu große Nervosität lieferte Mühlleitner in 3:44,07 Minuten wie schon am Vortag eine gute Zeit ab.