Selbst Merckx war schlechter: Pogacar beherrscht den Giro

Tadej Pogacar posierte auf der Ehrenrunde stolz mit seinen Teamkollegen, ließ sich dann als Triumphator des 107. Giro d’Italia im Schatten des mächtigen Kolosseums feiern. Bei seiner ersten Teilnahme dominierte der Slowene die Italien-Rundfahrt praktisch von der ersten Etappe an, den abschließenden Erfolg auf der Via di San Gregorio sicherte sich der Belgier Tim Merlier im Sprint. «Es war mehr oder weniger der perfekte Giro», sagte Pogacar. «Es ist verrückt. Ich hätte mir das nicht vorstellen können.»

Was Pogacar ablieferte, entbehrte tatsächlich der Vorstellungskraft so manches Konkurrenten und Beobachters. Am zweiten Tag übernahm er das Rosa Trikot des Führenden – und gab es nicht mehr ab. Auf der letzten Bergetappe am Samstag hatte «Pink Pog» noch einmal seine Unantastbarkeit demonstriert und sich den sechsten Tagessieg gesichert. Das war bei einem einzigen Giro noch nicht einmal Eddy Merckx gelungen.

«Vielleicht war der Sieg heute nicht nötig gewesen, aber ich wollte ihn für mich und mein Team», sagte Pogacar. Und wenn der 25-Jährige in diesen drei Wochen des Giro etwas wollte, dann nahm er es sich einfach. Sagenhafte 9:56 Minuten trennten Pogacar vom zweitplatzierten Daniel Martinez, Kapitän des deutschen Teams Bora-hansgrohe. Seit 1965 hat es keinen größeren Vorsprung gegeben, in der Nachkriegszeit ohnehin erst drei.

Nächstes Ziel: Tour-Sieg

Dabei ist mit dem Sieg bei der Italien-Rundfahrt für Pogacar nur die Hälfte der Arbeit erledigt. Vor knapp einem halben Jahr hatte das Wunderkind des Radsports verlauten lassen, er wolle versuchen, den Giro und die Tour zu gewinnen. Zuletzt war das Italiens Ikone Marco Pantani 1998 gelungen, in der heutigen Zeit wird solch eine Aufgabe eigentlich als unlösbar angesehen.

Dass Pogacar den Giro wohl gewinnen wird, wenn er ohne Sturz und Krankheit bleibt, war schon vor dem Start in Turin klar. Schließlich konzentrierte sich der Rest der weltbesten Rundfahrer auf die Tour de France. Und so war allgemein erwartet worden, dass Pogacar in den Verwaltungsmodus gehen würde, sobald er ein beruhigendes Polster auf den Zweitplatzierten herausgefahren hatte. Ein massiver Irrglaube.

Der übertalentierte Alleskönner aus Komenda gewann einfach, wie es ihm gefiel. «Ein Sieg ist ein Sieg, auch wenn es nur mit einer Sekunde ist. In diesem Giro geschah es eben einfach so», sagte Pogacar. Am Ende habe er das Rennen einfach mit hoher Moral und guten Beinen beenden wollen. «Es sollte ein guter Test für den Sommer werden. Das ist mir gelungen, deshalb bin ich glücklich.»

Trainerwechsel im Winter

Die Chancen auf das Double sind nach der italienischen Demonstration sogar noch gestiegen. Nicht allein wegen der Verfassung, in der sich Pogacar befindet. Dass die härtesten Konkurrenten Jonas Vingegaard, Remco Evenepoel und Primoz Roglic Anfang April geschlossen stürzten, spielt ihm zusätzlich ins Blatt. Evenepoel und Roglic starten kommende Woche bei der Dauphiné, der klassischen Tour-Generalprobe. Ob der zweimalige Tour-Sieger Vingegaard überhaupt dabei ist, ist völlig offen.

Nach so einer langen Verletzungspause ist es ohnehin fraglich, ob der Däne Pogacar gewachsen wäre. Dieser scheint noch einmal einen Entwicklungssprung gemacht zu haben, was angesichts seiner Qualitäten eigentlich unmöglich schien. Im Frühjahr gewann er das schwere Schotterrennen Strade Bianche mit einem 81 Kilometer langen Solo, nun folgte der überlegene Triumph beim Giro.

Ein Trainerwechsel im Winter soll der Auslöser zur nächsten Leistungsstufe gewesen sein. Nach fünf Jahren trennte sich Pogacar von Iñigo San Millán und wechselte zu dessen spanischen Landsmann Javier Sola. Dieser hat in seinem Profil auf der Plattform X «Human performance» stehen. «Menschliche Leistung». Der Konkurrenz dürfte sie eher außerirdisch vorkommen. Oder wie Geraint Thomas, mit seinen 38 Jahren beachtlicher Dritter des Giro, kommentierte: «Er ist der Beste, mit dem ich je gefahren bin. Es ist irrsinnig, wie talentiert er ist. Was die physische Begabung angeht, ist er einzigartig.»

Von Tom Bachmann, dpa