Siegessicherer Tiefstapler: Pogacars Psychospielchen

Mit Baskenmütze auf dem frisch frisierten Kopf und angesteckt von den euphorischen Fans zeigte sich Tadej Pogacar siegessicher.

Mit einem Victory-Zeichen in Richtung der Massen rollte der Slowene von der Rampe am berühmten Guggenheim-Museum von Bilbao. Die klare Botschaft: Der Gesamtsieg bei der 110. Tour de France führt nur über mich. 

Gut drei Stunden zuvor hatte sich der vom großen Eddy Merckx persönlich zum «neuen Kannibalen» des Radsports ernannte Slowene noch ungewohnt zurückhaltend gegeben. «Jonas ist der Top-Favorit für die Tour», sagte Pogacar über seinen Rivalen und Titelverteidiger Jonas Vingegaard. Der hatte zudem die Generalprobe, das Critérium du Dauphiné, mit Leichtigkeit dominiert. «Danach hat er gesagt, dass er noch nicht in Bestform sein. Mal sehen, was er bei der Tour macht», sagte Pogacar. Da waren vor dem Grand Départ am Samstag sicher ein paar Psychospielchen dabei, doch so ganz überzeugt wirkte der 23-Jährige nicht.

Am Ende eines überragenden Frühjahrs brach sich Pogacar Ende April bei einem Sturz unter anderem das Kahnbein. Das ist noch immer nicht ganz verheilt. Er habe zwar keine Probleme auf dem Rad, die Beweglichkeit schätzt er jedoch allenfalls auf 70 Prozent ein. Was außerdem fehlt, sind die Rennkilometer. Lediglich die slowenischen Meisterschaften, die ihn nicht wirklich forderten, hat er in den Beinen. Wie sich das über drei Wochen auf der mit über 55 000 Höhenmetern härtesten Tour seit Jahren auswirkt? Das weiß der Superstar so wenig wie alle anderen.

Knackiger Start im Baskenland

Pogacars nächstes Problem: Er muss von der ersten Etappe an da sein. «Am Ende werden da höchsten 10 bis 15 Fahrer vorn sein», sagte der zweimalige Tour-Sieger über die Auftaktetappe. Die Landschaft im Baskenland gleicht einer Achterbahnfahrt, schon auf dem ersten Teilstück mit Start und Ziel in Bilbao stehen 3200 Höhenmeter auf dem Programm. Am zweiten Tag wird es bei der Replik der Clásica San Sebastián nicht anders, zudem ist es mit 209 Kilometern die längste Etappe der Tour.

Vingegaard will sich vor dem Duell der Überflieger von Pogacars Schmeicheleien nicht verführen lassen. Im Gegenteil. «Um ehrlich zu sein, erwarte ich, dass er gleich auf der ersten Etappe angreift. So ein wenig wie im vergangenen Jahr. Ich muss dafür bereit sein», sagte der Däne. Das Leben des schmächtigen Kerls aus Jütland hat sich seit seinem Triumph auf den Kopf gestellt. «Aber ich bin immer noch derselbe. Das ist am wichtigsten», betonte der 26-Jährige.

Vingegaard komplett auf Tour ausgerichtet

Im Gegensatz zu Pogacar, der in diesem Jahr die Flandern-Rundfahrt gewann, ist die Saison Vingegaards komplett auf die Tour ausgerichtet. Das Jahr zwischen den Touren verbrachte er vor allem damit, an seiner Explosivität an kurzen Anstiegen zu arbeiten. Er habe das Gefühl, da sei er besser geworden, sagte Vingegaard. Das wäre eine schlechte Nachricht für Pogacar, gelang es ihm auf diesen Profilen doch oft, einige Sekunden zu gewinnen.

Fakt ist: Es wird hart, hektisch, gnadenlos. Und das schon vom ersten Tag an, da denken die meisten noch gar nicht an die acht Bergetappen. Auf den schmalen baskischen Straßen wird es vermutlich erneut zu einigen Stürzen kommen. Das ist bei der Tour so unvermeidbar wie die Sehnsucht der Franzosen nach einem einheimischen Sieger. Den wird es auch in diesem Jahr nicht geben. Oder anders formuliert: Damit das passiert, muss so viel passieren, das kann gar nicht passieren. 

Und aus deutscher Sicht? Das größte Potenzial für einen Etappensieg hat wohl Georg Zimmermann. Der Bayer scheint nach zwei Tour-Lehrjahren reif für das große Ding. Emanuel Buchmann wird für den Ex-Giro-Sieger Jai Hindley den Edelhelfer geben. Fährt der Australier auf das Podium, wäre das für das Team Bora-hansgrohe ein großer Erfolg. Und damit irgendwie auch ein deutscher.

Tom Bachmann und Stefan Tabeling, dpa