Sinner und Alcaraz aus dem Schatten der «Big Three»

Sinner und Alcaraz aus dem Schatten der «Big Three»

Nach seinem schmerzvollen Aus bei den French Open wartete auf Novak Djokovic gleich die nächste Hiobsbotschaft. Der serbische Tennisstar musste am Morgen laut der französischen Zeitung «L’Équipe» in einer Pariser Klinik am Meniskus operiert werden und fällt für den Rasen-Klassiker in Wimbledon Anfang Juli höchstwahrscheinlich aus.

Als wäre das für ihn nicht schon niederschmetternd genug, fiebert die Tennis-Welt derzeit dem Halbfinal-Duell am Freitag zwischen den Jungstars Jannik Sinner und Carlos Alcaraz entgegen. Der verletzte Titelverteidiger scheint nicht sonderlich vermisst zu werden. 

Sollte sich der 37-jährige Djokovic das Match am Fernseher anschauen, dürfte er zumindest reichlich Extra-Motivation für sein Comeback erhalten. «Ich glaube, sie wecken das Biest in mir», hatte der Serbe einmal über Sinner (22) und Alcaraz (21) gesagt. Die beiden sind aber nicht mehr die Zukunft, sondern inzwischen die Gegenwart im Herren-Tennis. Weil Djokovic auf das Viertelfinale gegen den Norweger Casper Ruud wegen seiner Knieverletzung verzichtete, stieg Sinner zur neuen Nummer 1 der Weltrangliste auf – als erster Italiener überhaupt. 

Sinner in Italien gefeiert

In seinem Heimatland löste das eine riesige Begeisterung aus. Für die «Gazzetta dello Sport» ist der Australian-Open-Gewinner «der ganze Stolz des italienischen Sports», für «La Repubblica» hat das Warten auf den Messias «ein Ende». Selbst Ministerpräsidentin Giorgia Meloni gratulierte via Kurznachrichtendienst X dem «Champion» und postete dazu ein Selfie mit dem Tennisprofi.

Es sei «ein besonderer Moment» für ihn, sagte der 22-jährige Sinner, der erst nach seinem lockeren Viertelfinalsieg in drei Sätzen gegen den Bulgaren Grigor Dimitrow die freudige Nachricht erhalten hatte. «Es ist für jeden Spieler ein Traum, die Nummer 1 der Welt zu sein.» Doch seine Mission sei in Paris noch nicht beendet, bekräftigte der Südtiroler. Am Freitag stehe «ein sehr wichtiges Match» an, nur darauf sei er fokussiert.

Sein um 21 Monate jüngerer Halbfinalgegner Alcaraz hat ebenso längst die Entwicklung vom Supertalent zum Topstar hinter sich. «Dieser Junge ist einfach zu gut», sagte der Grieche Stefanos Tsitsipas, immerhin Nummer 9 der Welt, nach dem 3:6, 6:7 (3:7), 4:6 im Viertelfinale gegen den glänzend aufgelegten Spanier. «Wenn ich gegen ihn spiele, werde ich daran erinnert, wie sehr ich mich als Tennisspieler noch verbessern muss.» 

Ein Satz, der früher oft von Djokovic-Gegnern gesagt wurde. Der 24-malige Grand-Slam-Turniergewinner wird beim Match Sinner gegen Alcaraz auch mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert: Das letzte Mal, dass sich im Stade Roland Garros zwei Spieler unter 23 Jahren in einem Halbfinale gegenüberstanden, war 2008 beim Match zwischen ihm und Rafael Nadal. 

Wann und wie kehrt Djokovic zurück?

Der spanische Sandplatz-König Nadal (38) verabschiedete sich bei seinen sehr wahrscheinlich letzten French Open gleich in der ersten Runde gegen Alexander Zverev und plant sein Karriereende nach der Saison. Djokovic, der in diesem Jahr noch kein einziges Turnier gewonnen hat, ist nach seiner Knie-OP wohl frühestens für Olympia in Paris wieder fit. Und Roger Federer (42), der dritte der «Big Three», die über fast zwei Jahrzehnte die Tour beherrscht hatten, ist seit anderthalb Jahren in Tennis-Rente. Dass diese Ära sich dem Ende neigt, beweist die Tatsache, dass erstmals seit 20 Jahren keiner der drei großen Stars im Halbfinale von Paris steht. 

Ob Djokovic zukünftig in der Lage sein wird, die neue Generation um Sinner, Alcaraz und den dänischen Jungstar Holger Rune (21), der Alexander Zverev im Achtelfinale an den Rand der Niederlage brachte, bei den großen Turnieren zu stoppen, bleibt abzuwarten. «Ich denke, dass wir langsam – im positiven Sinne – die Ehrfurcht verlieren und uns wagen, gegen ihn in großen Matches zu gewinnen», hatte Alcaraz im März der «Bild» gesagt.

Djokovic zieht aber aus solchen Situationen auch immer neue Kraft. «Die jungen Burschen, die sehr hungrig und inspiriert sind, gegen mich ihr bestes Tennis zu spielen, sind eine zusätzliche Motivation», sagte er kürzlich. Er wird sie für sein Comeback brauchen.

Von Jörg Soldwisch