Sorgenvoll tippte sich Johannes Vetter an die Stirn. Der Gold-Favorit im Speerwerfen ist vor dem Olympia-Finale in Tokio verunsichert.
«Es ist gerade hier oben relativ viel seit den letzten zwei, drei Wochen, das müssen wir bis Samstag in den Griff bekommen», meinte das Offenburger Kraftpaket nach seiner holprigen Qualifikation und gewährte Rückschlüsse auf die riesige Erwartungshaltung.
«Ich muss schauen, wie sich das die Tage entwickelt, klar kommt die Anspannung zum Samstag noch mehr», sagte er in der ARD weiter. Er müsse vor dem Medaillenkampf am Samstag (13.00 Uhr/MESZ) «nochmal mental bisschen arbeiten».
Führender der Weltjahresbestenliste
Vetter ist der Dominator mit dem Speer. Der Olympia-Vierte von 2016 führt mit 96,29 Metern die Weltjahresbestenliste deutlich an. Der gebürtige Dresdener reiste mit der imposanten Serie von 19 Siegen am Stück nach Japan. Der WM-Dritte von 2019 übertraf außerdem zwischen Ende April und Ende Juni siebenmal nacheinander die 90-Meter-Marke. Auch wenn er zuletzt mit dem Anlaufbelag bei den Meetings in Gateshead und Thum haderte – Gold führt nur über Vetter, oder?!
«Seit den Wettkämpfen vor Olympia ist so ein bisschen der Wurm drin, was heißt der Wurm drin, ich kriege nicht so das richtige Timing, den richtigen Rhythmus hin, dass ich sage, da passt alles zusammen und dann knallt es vorne», meinte Vetter in den Katakomben der Arena. Für das Finale müsse «auf alle Fälle noch was kommen.»
Der 28-Jährige sicherte sich das direkte Ticket für den Medaillenkampf erst mit 85,64 Metern in seinem dritten und letzten Versuch. Es handle sich bei ihm um eine «Rhythmusgeschichte», erklärte Vetter und war unzufrieden. «Was soll ich jetzt unruhig werden? Es ist so wie es ist», meinte er. «Großes Q, darauf kam es an und das habe ich geschafft.»
Zweitbeste Weite
Vetter hatte am Ende aber immerhin die zweitbeste Weite vorzuweisen. Gleich mit dem ersten Versuch über 84,41 Meter zog auch der Mainzer Julian Weber direkt ins Finale ein. Bernhard Seifert aus Potsdam schied dagegen mit 68,30 Metern chancenlos aus.
Im Fokus steht Vetter. Fragen nach dem Druck musste er auch schon vor seinem Gold-Projekt in Tokio beantworten. «Ich tue gut daran, mich auf mich selbst zu konzentrieren, damit bin ich immer gut gefahren», sagte Vetter über seine Konkurrenz. «Ich weiß genau, was ich kann und was ich drauf habe.» Er habe es selbst in der Hand, wie viel Druck er zulasse «und wie viel ich generell von außen an mich heranlasse».
Fünf Jahre nach dem Gold-Coup des verletzten Thomas Röhler aus Jena erwartet die Öffentlichkeit nicht weniger als das Gleiche von Vetter. Eine Kurskorrektur will er selbstverständlich nicht vornehmen, war ja auch nur die Qualifikation. «Natürlich, dafür bin ich hier», meinte er über den geplanten Aufstieg in den Olymp.
Bis zum Finale nachjustieren
Mit seinem Heimcoach Boris Obergföll, ehemals Boris Henry, und Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann will Vetter bis zum Finale erfolgreich nachjustieren. «Den Leistungspunkt an dem einen Tag zu treffen, das ist das Schwierige», hatte der Bundestrainer gesagt. Obergföll weiß, wovon er spricht. Er hat nicht nur Vetter, sondern auch schon seiner späteren Ehefrau Christina (2013) und Matthias de Zordo (2011) zu WM-Titeln verholfen.
Vetter will der vierte deutsche Männer-Olympiasieger in dieser Disziplin nach Gerhard Stöck 1936 in Berlin, Klaus Wolfermann 1972 in München 1972 und Röhler 2016 werden. Aus dem großen Q und dem großen V soll am Samstag das große G(old) werden.