Sportjournalismus zwischen Shitstorm und Vorsicht

«Ende gut, alles gut?» Diese Formulierung der ARD-Moderatorin Jessy Wellmer bei ihrem letzten Interview mit Joachim Löw als Bundestrainer hat für einige Aufregung gesorgt.

Die Empörung im Netz schlug hohe Wellen und zeigte, wie schnell rund um Fußball-Übertragungen ein Shitstorm entstehen kann. «Bei einem Publikum irgendwo zwischen fünf und dreißig Millionen wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt», sagte dazu Steffen Simon, der EM-Teamchef der ARD.

«Sekundenbruchteile» bis zum Shitstorm

Simon war jahrelang selber Kommentator von Länderspielen und hat dabei reichlich Erfahrungen gesammelt. «Vorsichtig mussten wir schon immer sein», sagte der 56 Jahre alte Sportjournalist und erklärte die entscheidende Veränderung: «Bis zum Beginn des Shitstorms dauert es heute nur Sekundenbruchteile und nicht mehr bis zum Andruck der Zeitungen. Das ist der Unterschied.»

Die Reaktionszeit im Netz ist schneller und die Empörung größer, wenn Formulierungen nicht perfekt sind. Laut ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann «gibt es eine höhere Sensibilisierung und gleichzeitig auch eine höhere Aufgeregtheit». Fuhrmann sagte zu den Konsequenzen: «Man kann nicht mehr sagen: Ist mir mal rausgerutscht. Dann ist es zu spät.»

Mit Gelassenheit begegnet Béla Réthy dem Phänomen. «Wenn es nicht so dramatische Folgen hat wie bei Jörg Dahlmann ist es eher Folklore», sagte der erfahrene ZDF-Kommentator. Sein Kollege wurde von Sky zum Ende der Bundesliga-Saison vorzeitig vom Mikrofon genommen, weil er sich aus Sicht des Pay-TV-Senders «mehrfach unsensibel und unpassend verhalten» hatte. Dahlmann konnte das nicht verstehen und sein ZDF-Kollege auch nicht.

Réthy will sich nicht beirren lassen. «Wer sich von den sozialen Medien in seinem Handeln beeinflussen lässt, sage ich mal frei nach Karl Lagerfeld, der hat die Kontrolle über sein Leben verloren», witzelte der 64 Jahre alte Reporter. «Wenn man bedenkt, dass die Nutzung von Twitter in Deutschland bei vier, fünf Prozent der Bevölkerung liegt und dass man sich davon so treiben lässt, das ist eigentlich ein bisschen bedenklich.»

Schulungen für Expertinnen und Experten

Vor dem Mikrofon ist Vorsicht geboten, findet Stefan Kuntz. «Wenn man hören würde, wie ich mit der Mannschaft oder mit einigen Spielern rede, und das auf die Goldwaage legen würde, könnte man genauso Ansätze zur Kritik finden», sagte der U21-Nationaltrainer, der bei der EM als TV-Experte für die ARD im Einsatz ist. «Ich bin ja jemand, dem der Schnabel auch mal locker gewachsen ist.»

Kuntz ist allerdings auf seinen TV-Job vorbereitet worden. «Es gibt Schulungen für unsere Expertinnen und Experten», berichtete ARD-Teamchef Simon. «Natürlich müssen wir die auf ihre Rolle vorbereiten. Das ist für den einen oder anderen eine neue Erfahrung.» Das ZDF verzichtet darauf und setzt auf «Feedback-Runden nach jeder Sendung», wie Sportchef Fuhrmann erklärte.

Kuntz-Kollegin Almuth Schult begrüßt die Schulungen. «Es gibt einen Coach, der mit uns arbeitet. Das ist auch gut so, um einfach die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass man in einer Live-Situation spricht», sagte die bei der EM erstmals als Expertin auftretende Fußballerin. Das meiste Lob erhielt Schult jedoch nach einer Reaktion, die sich nicht schulen lässt – nach einem Lachanfall wegen eines Kommentars ihres Experten-Kollegen Kevin-Prince Boateng.

Schweinsteiger bekommt Ermahnung

Bastian Schweinsteiger arbeitet derweil nach einer Ermahnung weiter als TV-Experte für die ARD. Das bestätigte der öffentlich-rechtliche Sender. Zuvor hatte das Erste den Auftritt des ehemaligen Nationalspielers bei der TV-Übertragung von der Fußball-Europameisterschaft am Samstag und das Absetzen eines Tweets mit Werbebotschaft geprüft.

«Wir sind im Kontakt mit Bastian Schweinsteiger und seinem Management und haben um eine Stellungnahme zu dem Vorfall vom vergangenen Samstag gebeten», sagte eine Sprecherin des federführenden WDR auf dpa-Anfrage. «Dabei haben wir sehr deutlich gemacht, dass die ARD gemäß ihrer Richtlinien keine Form von Schleichwerbung und nicht kenntlich gemachter Produktplatzierung ihrer Protagonisten duldet.»

Von Michael Rossmann und Claas Hennig, dpa