Sie erklimmen in sechs Sekunden eine 15 Meter hohe Wand, hängen teils kopfüber oder halten sich mit ihren Fingerkuppen in schwindelerregender Höhe an der Steilwand fest: die weltbesten Sportkletterer kämpfen in Tokio erstmals um olympische Medaillen.
«Es ist die größte Bühne, die der Sport zu bieten hat, das hilft dem Klettern ungemein», sagte der deutsche Kletterer Jan Hojer, nachdem er mit Teamkollege Alexander Megos die Qualifikation für das Finale verpasst hatte. In Tokio müssen sich die Athleten an den Kletterwänden nicht nur gegen die Konkurrenz durchsetzen – auch die extremen Wetter-Bedingungen bereiten Probleme.
Nur ein Medaillensatz für drei Kletter-Disziplinen
Das Internationale Olympische Komitee (IOC) entschied 2016, dass Klettern olympisch wird. Trotz dreier Disziplinen – Speed, Bouldern, und Lead – sollte es pro Geschlecht nur einen Medaillensatz geben. Die Lösung: Ein sogenannter Combined-Wettkampf, bei dem Platzierungen aus allen drei Disziplinen multipliziert werden. Spezialisten müssten Allrounder werden, sagte Megos – das gefällt nicht jedem.
Vor allem Speedklettern, wo Athleten in einem irrwitzigen Tempo schnellstmöglich die Wand hochrasen, gilt als verpönt. Die ewig gleiche 15 Meter hohe und 5 Grad überhängende Kletterwand, dazu die standardisierte Grifffolge: Mit richtigem Klettern habe die Disziplin nicht viel zu tun, waren sich die Athleten einig. «Ich bin froh, wenn der Modus wieder abgeschafft wird», sagte Megos und schob hinterher: «Es war trotzdem die beste der vorgeschlagenen Möglichkeiten, unseren Sport auf dieser Bühne zu präsentieren.»
Je 20 Frauen und Männer treten im Aomi Urban Sports Park bei diesen Spielen gegeneinander an. Teils versuchen sie die Hindernisse kopfüber hängend zu überwinden, manche kleben spiderman-artig an der Wand und fliegen scheinbar von Griff zu Griff. Dazu schallt aus den Lautsprecherboxen dröhnende Musik und verwandelt den mehrstündigen Wettkampf in eine Party mitten in Tokio.
Für Vize-Leadweltmeister Megos (2019) und den zweimaligen Boulder-Europameister Hojer (2015, 2017) war die Party schnell wieder vorbei – beide verpassten das Finale der besten Acht knapp. «Das ist schon bitter», sagte der unzufriedene Erlanger Megos. «Natürlich bin ich enttäuscht, mein Ziel Finale habe ich verpasst», meinte der Kölner Hojer und quälte sich zu einem Lächeln.
Athleten macht das Wetter zu schaffen
Probleme bereitet den Kletterern in Tokio vor allem das Wetter. Durch die hohe Luftfeuchtigkeit verlieren die Hände mehr Haut als üblich – die Gefahr, abzurutschen, steigt. «Guckt sie euch an», sagte ein vor Schweiß tropfender Megos und zeigte seine geschundenen Fingerkuppen. Hojer berichtete: «Ich habe meine Hände mit Cremes präpariert, aber von der Haut ist nicht viel übrig.» Selbst als die Sonne hinter Tokios Hochhäusern versank, zeigte das Thermometer im Kletterpark noch über 30 Grad an – rund 80 Prozent Luftfeuchtigkeit. An Magnesium gegen die schwitzigen Hände wurde nicht gespart.
Trotz schwieriger Bedingungen und neuen Regeln, können die Athleten dem Wettbewerb auch Positives abgewinnen. «Die Welt kennt jetzt alle drei Kletter-Disziplinen», sagte Hojer. Dennoch hätten alle das Ziel, dass irgendwann die Einzeldisziplinen bei Olympia vertreten seien.
Das IOC hat bereits bestätigt, dass Klettern auch bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris dabei sein wird. Dann sollen immerhin zwei separate Wettkämpfe ausgetragen werden: Speed und eine Kombination aus Lead und Bouldern. Ob der 27-jährige Alexander Megos dann auch wieder um Medaillen kämpfen wird, ließ es zunächst offen. «Ist ja noch ein bisschen hin.»