Strampeln für die Rechte der afghanischen Frauen

Wenn Fariba Hashimi mit leiser Stimme über ihre Heimat Afghanistan spricht, wird ihre Miene ernst. «Ich träume davon, bei meiner Familie zu sein. Ich träume davon, in meinem Land Rad zu fahren. Weit weg von Zuhause ist es schwierig», sagt die junge Radsportlerin der Deutschen Presse-Agentur.Mit ihren Auftritten bei der WM in Glasgow will sie auch ein Zeichen an die unterdrückten Frauen in Afghanistan senden.

Hashimi, gerade einmal 20 Jahre alt, im August 2021 nach dem Umsturz eilig vor den Taliban geflohen, ist im Exil in Italien, um ihren Traum weiterzuleben. Ihren Traum von einem normalen Leben ohne Repressionen, von einer Karriere als Profi-Radsportlerin. «Es soll ein stolzer Moment für alle benachteiligten Frauen meines Landes sein, wo sie nicht zur Universität oder Schule gehen dürfen. Ich möchte Hoffnung geben, dass wir niemals aufgeben», sagt Hashimi.

Niemals aufgeben ist auch ihr Motto. Vieles wirkt improvisiert im afghanischen Team. Zum Start in der Mixed-Staffel erschienen sie erst auf den letzten Drücker, im Rennen gab es mechanische Probleme, und dann stürzte auch noch Kollegin Zahra Rezayee von der Rampe und schlug sich das Knie auf. Dass es der letzte Platz mit einem Stundenmittel eines besseren Hobby-Radfahrers wurde, war nebensächlich. «Als sie die Ziellinie überquerten, hatte ich einen Kloß im Hals. Sie haben es geschafft. Das hier ist auch eine politische Botschaft, nicht nur eine sportliche», sagt ihr Trainer James Hey.

Hilfe in London

Hey leitet in London ein kleines Fahrrad-Unternehmen und trainiert eigentlich Jugendliche. Doch er wollte helfen, als er im Oktober mit sieben weiblichen Flüchtlingen die Arbeit aufnahm. «Ich hatte keine Ahnung, wo die Reise hingeht», erzählt Hey: «Ich wusste nicht, wie es ihnen emotional, mental oder körperlich ging. Rad fahren im Regen von London, ist das Letzte, was man tun kann. Man ist sehr demütig, aber auch emotional. Wenn man hört, was zu Hause passiert und wie gefährlich es für ihre Familien ist, kann das manchmal rührend sein.»

Fariba Hashimi und ihre ältere Schwester Yulduz, die ebenfalls in Glasgow im Einsatz ist, stammen aus einer konservativen Gegend im Norden Afghanistans, nahe der Grenze zu Turkmenistan. In ihrer Heimat betrieben sie ihren Sport einst heimlich ohne das Wissen ihrer Eltern, liehen sich vom Nachbarn ein Rennrad. Um nicht erkannt zu werden, trugen sie Kopftücher und Sonnenbrillen. «Ich fühlte mich, als ob ich fliegen konnte», sagte Fariba Hashimi dem britischen Sender BBC – ungeachtet der Anfeindungen mancher Landsleute. Schließlich akzeptierten auch ihre Eltern die Sportleidenschaft.

Die Karriere verlief steil bergauf, es folgte die Berufung in die Nationalmannschaft, ehe sich mit der Rückkehr der Taliban an die Macht alles änderte. Die militanten Islamisten haben die Rechte von Frauen stark eingeschränkt, jegliche Art von Sport ist ihnen untersagt. Die Schwestern mussten das Land verlassen, über die frühere Straßen-Weltmeisterin Alessandra Cappellotto entstand der Kontakt nach Italien.

Sehnsucht nach der Heimat

Auch Zahra Rezayee lebt in Italien. «Ich vermisse meine Heimat. Aber ich bin glücklich, dass ich die Möglichkeit hatte, Afghanistan zu verlassen», sagt sie. «Ich will helfen, dass die Welt die afghanischen Frauen unterstützt. Ich möchte ihnen eine Stimme geben.»

Dafür treten sie in die Pedale, mögen die Umstände auch noch so schwierig sein. «Wir haben einen Trainer, einen Psychologen und einen Mechaniker. Das ist alles sehr bescheiden, aber es ist eine leidenschaftliche Nation», sagt Hey, der auf eigene Rechnung arbeitet. Der medizinische Helfer einer seiner Fahrer sei Zahnarzt. Kommuniziert werde über WhatsApp oder andere soziale Medien. «Das ist eine andere Welt», sagt Hey. Bei der Finanzierung helfe der Weltverband UCI, der im vergangenen Jahr auch in der Schweiz die nationale Frauen-Meisterschaft mit Fariba Hashimi als Siegerin ausrichtete. «Wir sind für alle Anfragen offen. Aber wir sind nicht auf der Suche nach Geld, sondern nach etwas Unterstützung.»

Das olympische Motto «Dabei sein ist alles» traf selten so zu wie im afghanischen Team. «Es muss als etwas Bedeutsames betrachtet werden. Als etwas, auf dem wir aufbauen können, und nicht als das Ende», sagt Hey. Und Hashimi hat noch eine Botschaft, die auch an die Taliban gerichtet ist: «Wir sollten die Menschlichkeit respektieren. Alle sollten in Frieden leben können.» Eine Botschaft, die sie nächstes Jahr bei den Olympischen Spielen in Paris auf noch größerer Bühne auch verkünden will.

Von Stefan Tabeling, dpa