Super-Sonntag: Union und Freiburg fordern BVB und Bayern

In der Zentrale der Deutschen Fußball-Liga klopfen sich die Spielplanmacher vermutlich vor Glück gerade permanent auf die Schultern.

Diese Super-Sonntag-Konstellation war im Juni, als der Computer die Ansetzungen ausspuckte, für den zehnten Bundesliga-Spieltag von Fans wie Experten nicht vorauszuahnen. Keine Bayern-Langeweile. Und mehr Konkurrenz für den Münchner Serienchampion als die aus Dortmund.

Dafür fordert Union Berlin mit vier Punkten Vorsprung als Überraschungstabellenführer den BVB (17.30 Uhr/DAZN). Nur zwei Stunden später ist der SC Freiburg als Zweiter mit zwei Punkten mehr zu Gast beim Dritten, dem FC Bayern München. Union und Freiburg? Zwei in der Vorsaison schon erfolgreiche Underdogs mischen die Liga gerade richtig auf und fordern nun die mit sich selbst beschäftigten und in der Liga unzufriedenen Branchenriesen.

Doch warum läuft es in Köpenick und im Breisgau so gut? Eine Spurensuche nach den Erfolgsfaktoren der Herausforderer:

Die Trainer

Urs Fischer bekam vom «Berliner Kurier» schon den Spitznamen der «Zauberer von Urs». In Köpenick hat das Wirken des 56-Jährigen tatsächlich magische Züge. 2018 übernahm der einstige Titel-Coach des FC Basel den dümpelnden Zweitligisten, führte ihn in die Bundesliga und dort als Abstiegskandidat zweimal in den Europapokal. Und das mit einer unerschütterlich ruhigen Art. Pressekonferenzen mit Fischer können von einer großen Langeweile geprägt sein. Er lässt sich nicht locken, bleibt immer bei seinen Phrasen. Seine klare Ansprache innerhalb des Teams wirkt. Als Fußball-Fachmann besticht er. Und dürfte auch nach seiner jüngsten Vertragsverlängerung längst auf dem Trainer-Wunschzettel größerer Clubs stehen.

Mal lobt Christian Streich in seinem südbadischen Dialekt die «schönen Muskeln» von Superstar Cristiano Ronaldo, mal erklärt er die Fasnet-Tradition «Scheibenschlagen». Pressekonferenzen mit dem dienstältesten Trainer der Bundesliga sind ein Erlebnis. Der 57-Jährige ist das Gesicht des Sport-Clubs, mit seiner unvergleichlichen Art eine Ausnahmefigur im Profifußball – und ein taktischer Fachmann. Auch deshalb hielten die Freiburger in der Vergangenheit sogar im Abstiegsfall an ihm fest. Streich verlängert seinen Vertrag immer nur Jahr für Jahr. Auch das ist in dieser Branche alles andere als gewöhnlich.

Die Kader

Das Kollektiv steht über allem. Dieses Dogma gehört zur Union-DNA und passt zum gern gepflegten Ost-Image. Den einen Starspieler gibt es nicht. Man erarbeitet sich alles zusammen. Beim Verlesen der Aufstellung wird jeder Akteur von den Fans als «Fußball-Gott» begrüßt. Die Führungsstrukturen sind dennoch klar erkennbar. Kapitän Christopher Trimmel, Abwehrchef Robin Knoche oder Antreiber Rani Khedira haben eine Ausnahmestellung. Mit diesem funktionierenden Gemeinschaftsgefüge konnte Union sogar einen Luftikus-Charakter wie Max Kruse lange integrieren. Ein Mysterium: Jedes Jahr muss Manager Oliver Ruhnert nach vielen Abgängen auf Shoppingtour gehen. Fehlgriffe gab es fast nicht, dafür Volltreffer in Serie wie den für 20 Millionen Euro weiter verkauften Taiwo Awoniyi.

Der Kader der Freiburger ist extrem gefestigt. Anders als in vielen Jahren zuvor konnten vor dieser Saison mit Ausnahme des nach Dortmund gewechselten Nico Schlotterbeck alle Leistungsträger gehalten werden. «Der Sommer verlief für uns schon fast idealtypisch», sagt Sportvorstand Jochen Saier. Neuzugänge wie Ritsu Doan und der vor der Partie in München angeschlagene Daniel-Kofi Kyereh sind mit ihrer Spielfreude echte Gewinne, Michael Gregoritsch hat als Zentrumsstürmer eingeschlagen. Auch die Rückkehr von Nationalspieler Matthias Ginter zeigt, dass Freiburg den nächsten Schritt gemacht hat.

Die Rahmenbedingungen

Marketingstrategen könnten das Image nicht besser entwerfen. Union lebt glücklich in seiner Nische. Das Stadion an der Alten Försterei wurde einst mit handwerklicher Hilfe der Fans erbaut. So tickt man eben in Köpenick. Aktiv kultiviert wird das Grundgefühl der Ostalgie. «Wir aus dem Osten gehen immer voran», heißt es in der Club-Hymne, in der auch der Westen und gerne auch Lokalrivale Hertha BSC als mit Euros wedelnder Kommerz-Riese verteufelt wird. So entstand eine Wagenburg-Mentalität, die dem Verein eine starke Identität gibt. Ökonomisch war man lange am unteren Rand der Bundesliga-Nomenklatura, doch der Erfolg zahlt sich aus. Eine arme Fußball-Maus ist Union nicht mehr.

Mit dem neuen Stadion sind die wirtschaftlichen Möglichkeiten des SC, aber auch die Ansprüche im Breisgau gestiegen. Die Verantwortlichen, Sportvorstand Saier, Sportdirektor Klemens Hartenbach und Finanzvorstand Oliver Leki etwa, arbeiten seit vielen Jahren eng zusammen. Das Nachwuchsleistungszentrum bringt regelmäßig Talente wie Kapitän Christian Günter hervor, die den Durchbruch bei den Profis schaffen. Nach außen wird nach wie vor das eher zurückhaltende Ziel Klassenerhalt kommuniziert. «Das ist nicht verkehrt. Als Siebter hat man auch die Klasse gehalten», sagt Saier.

Die Spielstile

Gegen Union spielt niemand gerne. Dieser Leitsatz könnte fast schon in den aktuellen Bundesliga-Regeln stehen. In der Premierensaison vor drei Jahren half nur der lange, weite Ball hinten raus. Mittlerweile hat Fischer eine Taktik perfektioniert, die offensiv starke Kontrahenten immer wieder frustriert. So kompakt, so leidenschaftlich und so diszipliniert spielt kein anderer Erstligist in einem 3-2-2-2-System inklusive brandgefährlichem Umschaltspiel. Ein Rädchen greift ins andere, auch hier passt die Analogie zu den Schlosserjungs aus Oberschöneweide, dem historischen Urkern von Union.

Kontinuität gibt es beim SC sowohl neben als auch auf dem Rasen. Trotz Dreifach-Belastung kam diese Saison schon sechs Mal nacheinander die gleiche Startelf zum Einsatz. Wechselte Streich defensiv in der Vorsaison noch zwischen einer Dreier- und einer Viererkette, hat sich das 4-2-3-1-System inzwischen bewährt. Mit ihrem frühen Anlaufen sorgen die Freiburger für Umschaltmomente, die häufig zu Toren führen. Auch ruhende Bälle sind ein Erfolgsrezept.

Arne Richter und Maximilian Wendl, dpa