Im März stand Wu Yibing noch auf Platz 1869 der Weltrangliste, ein halbes Jahr später betritt er bei den US Open das größte Tennis-Stadion der Welt. In der Nacht zum Samstag fordert er im fast 24.000 Fans fassenden Arthur-Ashe-Stadium den russischen Titelverteidiger und Weltranglisten-Ersten Daniil Medwedew heraus.
Wu hat als erster männlicher Spieler Chinas in der Profi-Ära (seit 1968) die dritte Runde eines Grand-Slam-Turniers erreicht. Bei den Frauen ist das Riesenreich längst auch in der Breite in die Weltspitze vorgerückt, in New York überstand ein Quartett die zweite Runde. «Das ist positiv», sagte Zheng Qinwen, die am Samstag die nächste Gegnerin der Dortmunderin Jule Niemeier ist: «Es zeigt, dass das Tennis in China immer besser wird.»
Genau das wird seit Jahren erwartet. In China ist Tennis längst ein Milliardengeschäft, mittlerweile greifen dort laut Liverpool Management School etwa 14 Millionen Menschen regelmäßig zum Schläger. Die Erfolge bei den US Open dürften den Boom stärken.
Er freue sich, hier Geschichte geschrieben zu haben, sagte Wu, aber wichtiger ist, «dass wir noch mehr großartige Spieler in unserem Land werden». Der 22-Jährige, der 2017 im Junioren-Wettbewerb der US Open schon die Titel im Einzel und Doppel gewonnen hatte, genießt in Chinas sozialen Medien seit Tagen große Popularität. «Weil ich ein gut aussehender Junge bin», sagte Wu lachend.
Doch Tennis und China – das ist nicht nur Spaß. Der Fall Peng Shuai bewegt die Szene noch immer. Die Spielerin hatte im vergangenen November im sozialen Netzwerk Weibo einem hochrangigen chinesischen Politiker sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Der Post wurde bald danach gelöscht. Peng bestritt später, die Vorwürfe erhoben zu haben. Die staatliche Zensur hatte jede Debatte darüber im chinesischen Internet geblockt.
Sportler, Politiker und Menschenrechtler äußerten sich besorgt. Die Damentennis-Profiorganisation WTA sagte wegen des Falls alle Turniere in China ab. Die Herren-Organisation ATP verzichtet aktuell auch auf Veranstaltungen in China, begründet das aber mit den strengen Corona-Regeln dort.