Tadej Pogacar blickte seinen Konkurrenten im Dauerregen von Tignes kurz tief in die Augen, trat kräftig in die Pedale und ließ den Rest der Favoriten der Tour de France im bitterkalten Alpen-Finale aussehen wie Amateure.
Mit Attacken wie von einem anderen Stern ist der Slowene gleich auf den ersten beiden Hochgebirgsetappen zum unantastbaren Dominator der Tour aufgestiegen, der sein Gelbes Trikot wohl nur noch durch eine aktuell nicht vorhersehbare Schwäche verlieren kann.
«Das Trikot gibt mir ein bisschen mehr Wärme. Das ist gut», sagte Pogacar und lobte den Etappensieger vom Sonntag: «Ben O’Connor war sehr beeindruckend. Ich habe darum gekämpft, das Trikot zu behalten. Ich hoffe auf schönes Wetter am Ruhetag, so dass ich mich etwas erholen kann»
Pogacar musste nur kurz forcieren
Der Australier O’Connor war nach einer Bummelfahrt von Pogacar gut zehn Kilometer vor der ersten Bergankunft im 2017 Meter hohen Tignes noch der virtuelle Gesamtführende, ehe der Slowene das Tempo im Finale noch einmal forcierte. «Ich hatte ein wenig Angst, er hätte fast das Trikot geholt», gab Pogacar zu. O’Connor blieb der Sieg auf der neunten Etappe, Pogacar schlüpfte in ein frisches Gelbes Trikot.
Am Samstag war der 22-Jährige beim Etappensieg des Belgiers Dylan Teuns in Le Grand-Bornand mit einem schlicht unglaublichen 30-Kilometer-Solo in das begehrte Maillot Jaune gestürmt. Einen Tag später sah es so aus, als würde Pogacar das Trikot aufgrund einer taktischen Schwäche wieder verlieren. Erst als das britische Ineos-Team übernahm und Pogacar schließlich antrat, schrumpfte O’Connors Vorsprung auf gut sechs Minuten zusammen. «Ich hatte Angst, dass Tadej noch von hinten herankommt», sagte O’Connor. In der Gesamtwertung liegt Pogacar nun 2:01 Minute vor O’Connor und schon 5:18 Minuten vor dem drittplatzierten Kolumbianer Rigoberto Uran.
Konkurrenten auf der Suche nach Antworten
Am ersten Ruhetag am Montag werden sich Pogacars demoralisierte Konkurrenten den Kopf darüber zerbrechen, wie sie den Über-Fahrer noch stoppen können. Viele Antworten werden sie womöglich nicht finden, zu überlegen war der Kapitän der UAE-Mannschaft am völlig verregneten Alpen-Wochenende. «Er ist auf einem anderen Level als alle anderen», gab Sir Dave Brailsford zu, der Chef des erfolgsverwöhnten britischen Ineos-Teams.
Die geschockte Konkurrenz wird sich neue Ziele stecken müssen. Das Team Bora-hansgrohe hofft mit Wilco Kelderman weiter aufs Podium, Emanuel Buchmann will nach großen Zeitverlusten am Wochenende eine Etappe gewinnen. Der Vorjahreszweite Primoz Roglic beschloss unterdessen am Sonntag kurz vor dem Start der neunten Etappe, sich den Rest der Tour nicht mehr anzutun. Unter großen Schmerzen aufgrund seines Sturzes auf der dritten Etappe gab der Slowene das Rennen auf.
«Es hat einfach keinen Sinn mehr gehabt. Ich habe es versucht, aber die Schmerzen waren einfach zu groß», sagte 31-Jährige. Bereits am Samstag war Roglic als Drittletzter mit über 35 Minuten Rückstand ins Ziel gerollt. Allerdings in bester Gesellschaft, denn nur einen Platz vor dem Vuelta-Champion lag der frühere Tour-Sieger Geraint Thomas. Der ebenfalls von Sturzverletzungen gezeichnete Waliser kämpft sich aber weiter durch die Tour.
Es folgt der erste Ruhetag
Das wollte Mathieu van der Poel mit Blick auf die Olympischen Spiele nicht tun. Der Niederländer, der bis zum Samstag sechs Tage lang das Gelbe Trikot getragen hatte, trat nicht zur Etappe nach Tignes an. «Ich bin sehr stolz auf meine Leitungen in meiner ersten großen Rundfahrt und will mich nun auf meine anderen Ziele konzentrieren», sagte der Cross-Weltmeister, der in Tokio im Mountainbike-Rennen starten will.
Die Tour-Fahrer können am Montag durchschnaufen. In Tignes steht der erste Ruhetag auf dem Programm. Am Dienstag setzt das Peloton mit der Etappe von Albertville nach Valence seine Fahrt in Richtung Mittelmeer fort.