Trotz Sorgen um Familie: Marathon-Ass Petros läuft wieder

Das Laufen ist für Amanal Petros nicht nur eine Jagd nach Bestzeiten und Siegen, sondern war zuletzt auch wie eine Flucht vor seiner verzweifelten Sorge um seine Familie.

«Ich bin 220 Kilometer die Woche gelaufen und hatte deswegen Streit mit meinem Trainer. Er war sauer, aber ich konnte durchschlafen», sagte der 27 Jahre alte deutsche Marathon-Rekordler, der in Eritrea geboren wurde und als 16-Jähriger nach Deutschland flüchtete. Seit dem Beginn des Bürgerkrieges in Tigray im Norden Äthiopiens vor zwei Jahren hat er keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter und einer Schwester. 

Seit seinem vierten Platz im Marathon bei den Leichtathletik-Europameisterschaften am 15. August in München ist Petros nicht mehr gestartet. Nach einem gut fünfwöchigen Trainingsaufenthalt im kenianischen Hochland wird er am Sonntag in Valencia wieder die 42,195 Kilometer rennen. In der spanischen Hafenstadt hatte er Ende 2021 die deutschen Rekorde im Marathon (2:06:27 Stunden) und im Halbmarathon (1:00:09) aufgestellt.

Frankfurt-Marathon abgesagt

Eine Einladung zum Frankfurt-Marathon Ende Oktober hatte Petros abgesagt, weil er wegen der Sorgen um Mutter und Schwester dazu mental nicht fähig war. «Ich weiß nicht, wo sie sind. Ir­gend­wann ist eine Gren­ze, wo ich nicht mehr wei­ter­ma­chen konnte», berichtete der Athlet des TV Wattenscheid 01. Schon im letzten Jahr hatte er erwogen, aufzuhören. «Ich wollte alles aufgeben, aber dann klappte es mit den beiden Rekorden in Valencia gut.»

Bei der EM in München gehörte er zu den Medaillenkandidaten, am Ende verpasste er Edelmetall knapp hinter Überraschungssieger Richard Ringer, den er zwischendurch aufgemuntert hatte. «Amanal hat mir geholfen, bei Kilometer 25 war ich mal ein bisschen weg. Da hat er gesagt ‚Junge, bleib dran’», berichtete Ringer danach.

Den als Titelfavorit geltenden Petros hatten vor der EM gesundheitliche Probleme geplagt, aber auch die Ungewissheit über das Schicksal seiner Familie: «Ich habe zu viel taktiert, war sehr nervös und erschöpft.» Mit Platz vier trug er aber zum Silbermedaillengewinn des deutschen Marathonteams bei.

Waffenstillstand weckt Hoffnung

Kurz nach dem Abflug nach Kenia erreichte ihn zumindest eine Hoffnung weckende Botschaft. Äthiopiens Regierung und die Volksbefreiungsfront von Tigray einigten sich auf einen Waffenstillstand, nachdem hunderttausende von Menschen geflohen waren und es eine noch unbekannte Zahl von Opfern gegeben hatte. Einen vor Monaten erwogenen verzweifelten und lebensgefährlichen Versuch, auf eigene Faust seine Familie zu finden und zu retten, hatte sein Trainer Tono Kirschbaum verhindert.

Kenia ist für den sympathischen Langstreckenläufer mit modischer Kleidung und viel Schmuck um den Hals nicht nur ein optimales Trainingsland, es ist auch zu einer zweiten Heimat geworden. In 2000 bis 3000 Metern Höhe hat er im vergangenen Jahr viel mit dem kenianischen Ausnahmeläufer Eliud Kichoge trainiert, der Ende September in Berlin seinen Weltrekord auf 2:01:09 Stunden verbesserte. «Er ist wirklich ein Vorbild und ein guter Mensch», sagte Petros. Inzwischen dürfe er nicht mehr mit Kipchoge trainieren, weil sein Ausrüster es untersagt habe.

Dennoch hofft er, gut vorbereitet in Valencia an den Start zu gehen und noch besser, also schneller rennen zu können. «Es geht immer um Bestzeiten», betonte er. 2021 war er als erster Deutscher über 42,195 Kilometer unter 2:07:00 Stunden geblieben. Ki­lo­me­ter­schnitt: knapp unter drei Mi­nu­ten. Danach will Petros noch bei einem Silvesterlauf antreten und am 8. Januar in einem 10-Kilometer-Rennen wieder über das für ihn gute Pflaster von Valencia laufen. Beim Marathon am 19. Februar in Se­vil­la will er die Norm von 2:09:00 Stunden für die Weltmeisterschaften vom 19. bis 27. August 2023 in Budapest unterbieten. 

Sein großes Ziel sind aber die Olympischen Spiele 2024 in Paris und eine Medaille. Zuletzt gelang dies Stephan Freigang, der 1992 in Barcelona Olympia-Bronze gewann. Zumindest die olympischen Ringe hat Petros sich schon mal auf den Arm tätowieren lassen.

Andreas Schirmer, dpa