Trotz Tokio-Geisterkulisse: Stolze Fahnenträger-Kandidaten

Selbst die trübe Aussicht, nur in der Geisterkulisse des Kasumigaoka National Stadium die schwarz-rot-goldene Flagge bei der olympischen Eröffnungsfeier zu schwenken, schmälert den Stolz der deutschen Fahnenträger-Kandidaten nicht.

«Es wäre ein Traum, der in Erfüllung geht», sagte Turnerin Elisabeth Seitz (27). «Es ist eine Ehre, die nur wenigen zuteil wird. Das wäre on top.»

Der Deutsche Olympische Sportbund lüftet am Donnerstag, einen Tag vor dem Start der Tokio-Spiele das Geheimnis, welches Duo dem deutschen Team voranmarschieren darf. Für die Olympia-Vierte Seitz ist schon die Zugehörigkeit zum Kreis der nur noch neun Nominierten «der Wahnsinn». Tennisstar Angelique Kerber, die wohl aussichtsreichste Anwärterin für das Fahnenträger-Ehrenamt, musste verletzt und enttäuscht ihre dritte Olympia-Teilnahme nach 2012 und 2016 absagen. «Alles Liebe und viel Erfolg für das gesamte Team Deutschland in Tokio. Ich werde euch vermissen», schrieb sie in den sozialen Medien.

Die Favoritinnen für das Fahnenträger-Duo

Besonders gute Chancen, den weiblichen Part bei der Premiere der Fahnenträger-Doppel einzunehmen, hat nun Beachvolleyballerin Laura Ludwig (35), die 2016 in Rio mit Kira Walkenhorst mit dem Goldgewinn für Furore sorgte und auf Sand in Tokio mit Margareta Kozuch antritt. Mit der Einführung von gemischten Fahnenträger-Duos soll bei Olympia ein Zeichen für mehr Geschlechtergleichheit gesetzt werden.

Die Favoritenrolle bei der Wahl der Sportlerin dürfte aber die erfolgreichste Dressurreiterin der Welt, Isabell Werth, besetzen. Und dies nicht nur, weil die «Erste Westernreiter Union» ihre Mitglieder aufgerufen hat, für sie zu stimmen. Die 51-Jährige bestreitet ihre sechsten Olympischen Spiele und hat zehn Olympia-Medaillen gewonnen, darunter sechs goldene. Als vierte Athletin steht Ruderin Annekathrin Thiele (36) zur Wahl, die vor vier Jahren Gold sowie in Peking 2008 und London 2012 Silber gewann.

Die Favoriten für das Fahnenträger-Duo

Aus dem Kreis der fünf von Vorstand und Präsidium ausgewählten Männer hat Wassersprung-Rekordeuropameister Patrick Hausding (32) gute Aussichten. Auch für ihn ist es eine «große Auszeichnung» und «riesen Ehre» zu den Auserwählten zu gehören. «Dieses Amt bei meinen vierten und letzten Olympischen Spielen auszuüben, hätte einen besonders hohen Stellenwert für mich», sagte der Berliner. Dass er an der Seite einer Athletin einmarschieren würde, findet er gut: «Eine Person auszuwählen, war ohnehin immer sehr schwer und es ist ein gutes Zeichen für Gleichberechtigung.»

Auch der Turner Andreas Toba (30) könnte die Nase vorn haben, ist er doch bei den Rio-Spielen zum «Hero von Janeiro» geworden. Trotz eines Kreuzbandrisses beim Bodenturnen hatte er weitergemacht und der deutschen Mannschaft den Einzug ins Olympia-Finale geebnet. «Das ist eine einmalige Sache. Ich konnte da nicht Nein sagen», sagte er zur Nominierung. Allerdings habe er sich vor der Zusage rückversichert, «dass auch die Mannschaft hinter mir steht, das Trainerteam hinter mir steht», sagte Toba und bekam das Okay.

«Ein bisschen aufgeregt», ist Hockey-Nationalspieler Tobias Hauke vor der Verkündung des Fahnenträger-Paares. Die Unterstützung der Hockey-Community habe er. «Ob es reicht, wird man sehen», meinte Hauke. «Wenn nicht, bin ich trotzdem stolz, ein Teil davon zu sein und nehme meinen Platz in der zweiten oder dritten Reihe ein.» Wenn es nach Bundestrainer Kais al Saadi ginge, gäbe es gar keine andere Wahl als Hauke: «Tobi ist ganz gut im Rennen, viele höher dekorierte sind nicht im Rennen.»

Für Ruder-Routinier Richard Schmidt (34), der mit dem Achter 2012 Olympiasieger und 2016 Bronze holte, ist es bereits «eine absolute Ehre» in die engere Auswahl der Nominierten gekommen zu sein. Tischtennis-Ass Dimitrij Ovtcharov (32) kann zwar drei olympische Medaillengewinne seit 2008 vorweisen, hat aber ein Handicap: Sein deutscher Rivale Timo Boll war vor vier Jahren der Fahnenträger. Er sei «baff» gewesen, dass er ausgewählt wurde, sagte Ovtcharov. «Es wäre die größte Ehre, die einem als Sportler widerfahren kann, wenn man die Fahne für sein Land bei den Olympischen Spielen tragen darf.»

Gekürt werden die beiden Fahnenträger durch eine Online-Abstimmung, die der DOSB mit seinen Medienpartnern ARD, ZDF, Eurosport und «Bild» initiiert hat und die am Sonntag abgeschlossen wurde. Diese Voten fließen zur Hälfte in das Wahlergebnis ein. Dazu kommen 50 Prozent der Stimmen aus der Wahl der Athleten des deutschen Teams.

Von Andreas Schirmer, dpa