«Trotzdem stolz»: Marias Wimbledon-Märchen gestoppt

Tatjana Maria erhielt noch einmal das große Rampenlicht.

Ihre gute Freundin Ons Jabeur zog die 34-Jährige am Ellenbogen in die Platzmitte, zeigte mit dem Finger auf sie und animierte das Publikum zu Ovationen. Mit Handküssen zu den Fans verabschiedete sich Maria nach einer innigen Umarmung dann vom Centre Court. Trotz einer erneuten Energieleistung verpasste die zweifache Mutter das nächste Wimbledon-Märchen und den sensationellen ersten Einzug in ein Grand-Slam-Endspiel.

«Es war wirklich nett von ihr, dass sie mit mir feiern wollte, obwohl es eigentlich ihr Moment war», sagte Maria zu der anrührenden Szene. «Wenn man ein Match verliert, dann ist man trotzdem zuerst enttäuscht und denkt darüber nach, was man hätte besser machen können. Aber ich kann trotzdem stolz darauf sein, was ich in zwei Wochen Wimbledon geleistet habe.»

Maria: «Da ist noch einiges möglich»

Nach 1:43 Stunden musste sich Maria im Halbfinale mit 2:6, 6:3, 1:6 der Weltranglisten-Zweiten Jabeur aus Tunesien verdient geschlagen geben. «Es war schwierig, ihren Bällen hinterher zu laufen. Sie muss für mich grillen, um all mein Gerenne auf dem Platz wieder gutzumachen», sagte Jabeur lachend. Nach dem Match holte sie Maria neben sich, um ihr den gebührenden Jubel des Publikums zu gönnen. «Ich wollte diesen Moment definitiv mit ihr teilen am Ende, sie ist so eine große Inspiration für alle Spielerinnen inklusive mir. Ich kann es immer noch nicht glauben, dass sie mit zwei Kindern zurückgekommen ist und das geschafft hat.»

Für den größten Erfolg ihrer Karriere kassiert Maria umgerechnet 626.000 Euro. Die Überraschung des Turniers konnte jedoch nicht als sechste deutsche Tennisspielerin nach Cilly Aussem, Hilde Krahwinkel, Steffi Graf, Sabine Lisicki und Angelique Kerber das Finale von Wimbledon erreichen. «Ich versuche das Positive rauszuziehen und weiter an mich zu glauben. Ich glaube, dass da noch einiges möglich ist», sagte Maria. Vor der Partie hatte sie erfahren, dass sie erneut Tante geworden war. «Ich bin natürlich überglücklich für meinen Bruder, dass das zweite Kind heute gesund auf die Welt gekommen ist», sagte sie. «Das macht mich natürlich auch stolz.»

Mit Jabeur ist Maria gut befreundet, die Tunesierin liebt es, mit den Töchtern Charlotte und Cecilia zu spielen. Durch den Finaleinzug ist die 27-Jährige der erste arabische Tennisprofi, der in einem Grand-Slam-Endspiel steht. Jabeur trifft im Endspiel auf die Kasachin Jelena Rybakina, die sich überraschend klar mit 6:3, 6:3 gegen die frühere Siegerin Simona Halep aus Rumänien durchsetzte.

Bundestrainerin Rittner zeigt sich zufrieden

«Am Ende war Ons Jabeur die bessere Spielerin, das muss man anerkennen. Es war wieder ein großartiger Kampf, sie ist wieder zurückgekommen, hat alles versucht», sagte Damen-Bundestrainerin Barbara Rittner der Deutschen Presse-Agentur über Marias Auftritt. «Es war ein tolles Halbfinale, mit allen Finessen. Unter dem Strich waren es super zwei Wochen von ihr. Tennis-Deutschland ist stolz auf Tatjana Maria, so wie sie Deutschland vertreten hat.»

Maria setzt auf Routinen

Mit einem breiten Lächeln ging Maria vor dem ersten Punkt über den Platz, einträchtig winkten die beiden Freundinnen ein paar Schritte voneinander getrennt ins Publikum. Maria setzte vorab wieder auf ihre gewohnten Routinen. Mit ihrer Tochter Charlotte besichtigte sie zwar morgens den Centre Court, die Partie verfolgte die Achtjährige dann wie gewohnt aus der Kinderbetreuung der Anlage. «Wir wollen da nichts ändern», sagte Maria vor der Partie. «Sie drückt mir da die Daumen und schaut es dort auf dem Fernseher an. Das ist für sie ein Match wie alle anderen auch, deswegen lassen wir das so.»

Dass es für beide Spielerinnen kein gewöhnliches Match war, zeigte sich in der Anfangsphase. Maria setzte wie gewohnt auf ihre unorthodoxe Spielweise mit vielen unterschnittenen Bällen auch auf der Vorhand, Jabeur ließ sich auf das Slice-Duell ein, alleine das erste Spiel dauerte acht Minuten. Nervenstark wehrte Maria drei Breakbälle ab und holte sich das 1:0.

Maria kämpft, Jabeur eiskalt

Doch Jabeur behielt das Kommando, ließ Maria mit ansatzlosen Stoppbällen laufen und zog langsam auch das Tempo an. Drei Spiele in Serie holte die Siegerin des Vorbereitungsturniers von Berlin. Als Jabeur einen spektakulären Punkt nach einem Halbvolley mit Pirouette verlor, mussten beide Spielerinnen lächeln. Doch die Favoritin machte ernst. Eiskalt zeigte sie Maria die Grenzen auf und verwandelte den ersten Satzball durch einen Fehler ihrer Gegnerin nach nur 38 Minuten.

Dreimal hatte Maria bereits zuvor im Turnier den ersten Durchgang verloren und war doch mit großer Laufbereitschaft immer wieder zurückgekommen. Als sie zwei Breakbälle beim Stand von 1:1 abwehrte, zeigte sie die Faust in Richtung ihrer Box, in der Ehemann und Trainer Charles-Edouard applaudierte. Erstmals konnte Maria auch Jabeur bei deren Aufschlag unter Druck setzen und nutzte per Stopp direkt ihren ersten Breakball. Jabeur zeigte Nerven, streute neben Zauberbällen auch immer mehr Fehler ein, Maria zog auf 4:1 davon.

Einen ersten Satzball ließ Maria beim Stand von 5:2 und Aufschlag Jabeur noch aus, bei eigenem Service durfte sie nach einem missglückten Stopp ihrer Gegnerin nach insgesamt 76 Minuten jubeln. Der entscheidende Durchgang begann denkbar schlecht, Jabeur schaffte mit einem Passierball das frühe Break – und war plötzlich nicht mehr zu stoppen. Als Maria durch einen unnötigen Fehler am Netz das 0:4 kassierte, küsste Jabeur ihren Finger und schaute glücklich gen Himmel. Noch ein letztes Mal brachte Maria ihren eigenen Aufschlag durch – und war dann doch geschlagen.

Von Florian Lütticke, dpa