Tuchel unter Druck: «Da müssen wir den Trainer fragen»

Nach der Topspiel-Demütigung für den FC Bayern geriet schnell Trainer Thomas Tuchel in den Fokus der Kritik. Für viele Beobachter war der Münchner Coach der Hauptschuldige für das hochverdiente 0:3 bei Bayer Leverkusen, nach dem der Serienmeister nun schon fünf Punkte Rückstand auf den Tabellenführer hat. Und die Rückendeckung für den Trainer aus dem Bayern-Lager klang eher halbherzig.

An der Zusammenarbeit mit Tuchel «ändert sich gar nichts», versicherte zwar Vorstandschef Jan-Christian Dreesen und erklärte auf Nachfrage nur: «Ich mag mich ungern wiederholen.» Das sollte wohl ein Basta sein, doch es wirkte wie das Gegenteil. Dreesen wand sich darum, ein ausdrückliches Bekenntnis zu Tuchel auszusprechen.

Bayern ließ sich von Leverkusen überraschen

Zumal der Bayern-Boss analysierte, man habe nach guter Anfangsphase «den Faden verloren». Und dann fügte er sogar an: «Woran das liegt? Dafür gibt es Experten. Da müssen wir den Trainer fragen.»

Tuchel ist vor der wichtigen Woche mit weiteren Auswärtsspielen bei Lazio Rom in der Champions League und beim unbequemen VfL Bochum in der Liga also mindestens in Erklärungsnot. «Das war mit unsere schlechteste Leistung am wichtigsten Tag und im wichtigsten Spiel», sagte Kapitän Manuel Neuer. Der Nationaltorwart gestand auch ein, «dass wir die Leverkusener so nicht erwartet haben. Wir haben schon mit anderen Personalien gerechnet.»

War Tuchel also ausgecoacht worden von Xabi Alonso, dem ehemaligen Bayern-Profi und möglichen Leverkusener Meistermacher, der längst als Tuchels Nachfolger gehandelt wird? Zumindest fruchtete Tuchels Umstellung auf die ungewohnte Dreierkette in der Abwehr nicht – und sendete dem Gegner sogar eine fatale Botschaft.

Als in der Kabine die Bayern-Aufstellung gezeigt wurde, «haben wir gespürt, wie viel Respekt sie vor uns haben», sagte Leverkusens Abwehrchef Jonathan Tah: «Das hat uns auf jeden Fall noch mal Mut und Selbstvertrauen gegeben.»

Tuchel: «Niederlage hatte nichts mit Taktik zu tun»

Tuchel erklärte zerknirscht, er «übernehme immer die Verantwortung für die Taktik. Da ist es selbstverständlich, dass ich sie auch heute übernehme». Die Niederlage habe aber «nix mit Taktik zu tun gehabt». Das Ergebnis gebe ihm nicht recht. «Aber wir haben uns eine Woche gut vorbereitet», beteuerte der Trainer.

Zur fatalen Mischung bei den Bayern gehört auch, dass die Wortführer Joshua Kimmich und Thomas Müller bei Tuchel nur begrenztes Vertrauen genießen. Beide kamen erst in der 60. Minute beim Stande von 0:2 in ein fast schon verlorenes Spiel – und äußerten sich danach voller Frust.

Müller sprach in erster Linie seine Kollegen an, als er erklärte: «Da fehlen mir, da kann ich jetzt Olli Kahn zitieren, teilweise die Eier.» Tuchel äußerte dafür Verständnis. Den Trainer schützte Edeljoker Müller sogar ausdrücklich, als er sagte: «Es waren genug Spieler von internationalem Format bei uns auf dem Platz. Da braucht man gar nicht auf den Trainer zu gehen.»

Ihm fehle bei seinen Kollegen «dieses Blitzen in den Augen, so ein Topspiel mitzubeeinflussen. Bei Leverkusen hat man zuallermeist das Gefühl, dass sie miteinander viel Spaß haben», analysierte Müller und beklagte, im Spiel seiner Bayern fehle die Freiheit. «Die Leverkusener zocken einfach, die spielen Fußball, die suchen Lösungen. Das machen wir auch, aber nicht im Spiel, wenn der Druck da ist.»

Fast wortgleich äußerte sich dazu Kimmich, der seine Enttäuschung über den Bankplatz nach ausgestandener Schulterverletzung nicht verbarg. «Generell ist im Spiel wenig zu sehen von Spielfreude, Kreativität, Leichtigkeit und Freiheit.» Für so manchen Zuhörer stellte sich prompt die Frage: Fühlen sich die Spieler durch die Vorgaben des Trainers eingeengt?

Dreesen: «Müssen uns sammeln und nach vorne schauen»

Kimmich wurde daher gefragt, ob es angemessen gewesen sei, ausgerechnet im vielleicht wichtigsten Spiel der Saison die Taktik zu ändern. «Generell bin ich schon ein Freund davon, dass wir so gut sein sollten, dass wir uns nicht dem Gegner anpassen müssen», sagte Kimmich.

«Trotzdem finde ich, dass man sich einem Top-Gegner immer ein Stück weit anpassen muss. Das haben wir getan, auch wenn es nicht geklappt hat. Ich glaube aber nicht, dass es an der Taktik lag.» Tuchel habe das Team «gut eingestellt. Wir müssen das Ganze mit Leben füllen.»

Dreesen gab dem Trainer und dem Team für das Spiel in Rom eine Ansage mit. «Nach so einem Spiel, wo wir klar die schlechtere Mannschaft waren, muss man sich sammeln und nach vorne schauen», sagte er. Das Achtelfinal-Hinspiel der Königsklasse sei eine «Gelegenheit, die Scharte auszuwetzen.»

Was Dreesen sich langfristig wünscht: «Früher hat man immer von Bayern-Dusel gehört, der in Wirklichkeit eine Qualität ist. Da müssen wir wieder hin, dass wir wieder diesen sogenannten Dusel haben.»

Dafür ist im Sommer wohl ein Umbruch nötig. Die Frage ist nur, ob Tuchel diesen noch anleiten darf.

Von Holger Schmidt und Kaspar Kamp, dpa