Zerstörungen und viel Leid haben die große Bedeutung des Fußballs in der Ukraine längst verblassen lassen. «Leider ist Fußball nicht die Nummer eins», sagte der Trainer der Nationalmannschaft, Serhij Rebrow. Fußball sei einmal die Nummer eins gewesen, bis er vor etwa 28 Monaten durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Folgen abgelöst worden sei. Ein baldiges Ende ist nicht in Sicht.
Trotz der Lage in der Ukraine ist Rebrow froh, mit seiner Mannschaft an der EM in Deutschland (14. Juni – 14. Juli) teilnehmen zu können. Das Turnier sei eine gute Möglichkeit, die Ukraine zu repräsentieren. «Die Ukraine will ein Teil von Europa sein», sagte Rebrow und betonte, man spiele bei der EM in Deutschland für die Menschen in der Heimat.
Beim großen Turnier ist der Krieg für die Spieler zwar einige Hundert Kilometer Luftlinie entfernt. Auswirkungen auf das Drumherum hat er aber trotzdem. So hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) angekündigt, die ukrainische Nationalmannschaft besonders zu schützen.
Sicherheitsmaßnahmen eng abgestimmt
«Natürlich haben wir uns darauf vorbereitet, dass die Ukraine sich für die Euro qualifiziert. Die Sicherheitsmaßnahmen, die wir eng abgestimmt zwischen Bund, Ländern und den teilnehmenden Nationen treffen, sind hoch. Wir werden alles tun, um auch das ukrainische Team und die Fans zu schützen», sagte Faeser. Man sei sehr wachsam und gut vorbereitet.
Rebrow ist überzeugt von den Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland vor und während der EM: «Deutschland wird alles tun, um nicht nur die ukrainische Nationalmannschaft, sondern alle Nationalmannschaften zu schützen.» Nach dem 0:0 im EM-Testspiel gegen Deutschland in Nürnberg sagte der 50-Jährige, dass die Bundesrepublik in dem russischen Angriffskrieg für ihn der «wichtigste Partner» der Ukraine sei.
Ukraine bezieht Quartier in Hessen
Das Quartier der ukrainischen Nationalmannschaft befindet sich in der hessischen Stadt Taunusstein. Deren Bürgermeister Joachim Reimann (CDU) sagte dem Team seine volle Unterstützung zu. Man freue sich sehr, dass die ukrainische Nationalmannschaft in Taunusstein wohnt, betonte er.
Auch auf die Gastfreundschaft der Einwohner werden die ukrainischen Profis zählen können. «Von den rund 30.000 Einwohnern in Taunusstein haben fast 650 die ukrainische Staatsbürgerschaft und wir haben einen sehr engagierten Deutsch-Ukrainischen Verein, mit dem wir gemeinsam die Chance nutzen wollen, uns als guter Gastgeber zu präsentieren», sagte Reimann.
Das Thema Sicherheit begleitet auch die Zusammenarbeit zwischen Taunusstein und dem ukrainischen Team. Aufgrund der verschärften Sicherheitslage und der Fokussierung auf die sportlichen Aspekte seien keine gemeinsamen Aktionen möglich, erklärte Reimann. Dennoch werde man alles tun, «um unseren Gästen einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen».
Sicherheitskreise: Cyberangriffe im Blick
Es werde individuelle und an die Lage angepasste Schutzmaßnahmen während des gesamten Turniers geben, kündigt das hessische Innenministerium an. Über konkrete polizeiliche Maßnahmen könne man aus «einsatztaktischen Gründen» keine Auskunft erteilen.
In Zusammenarbeit mit Bund und Ländern haben die Landeskriminalämter den Angaben zufolge individuelle Gefährdungsbewertungen für jeden Nationalverband erstellt. «Bei der Bewertung fließen die Erkenntnisse zur Sicherheitslage im Zusammenhang mit der kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine mit ein.»
Wie die Deutsche Presse-Agentur zudem aus Sicherheitskreisen erfuhr, haben die Behörden angesichts der aktuellen russischen hybriden Bedrohungen auch mögliche Desinformationskampagnen oder Cyberangriffe im Zusammenhang mit der Teilnahme der Ukraine an der EM im Blick.
Machbare Gruppe für Mudryk und Co.
Sportlich trifft die Ukraine in der Gruppenphase auf Belgien, Rumänien und die Slowakei – ein zweiter Platz und der damit verbundene sichere Einzug in die K.o.-Phase sind angesichts der Konstellation machbar. Offen ist jedoch, ob die Spieler die Situation in ihrer Heimat während der EM ausblenden können.
Die Hoffnungen ruhen unter anderem auf den Premier-League-Stars Mychajlo Mudryk vom FC Chelsea und Olexander Sintschenko vom FC Arsenal. Sie sollen ihre Mannschaft ins Achtelfinale schießen und eine Nation noch stolzer machen. Doch die größte Hoffnung der Ukrainer ist weiter eine andere: Dass der Krieg endet und der Fußball somit wieder zur Nummer eins werden kann.