Es ist schon jetzt einer der besonderen Momente dieser Fußball-EM. Der dänische Torwart Kasper Schmeichel kommt nach dem Spiel gegen England (1:1) in die Interview-Zone des Frankfurter Stadions und wird dort befragt: von seinem Vater. Peter Schmeichel, Torwart-Legende und EM-Rekordspieler Dänemarks, arbeitet bei dieser Europameisterschaft für den amerikanischen TV-Sender Fox Sports.
Für einen Moment wirft der 60-Jährige all seine Professionalität über Bord und umarmt seinen Sohn vor laufenden Kameras. «Ich mache viele Interviews», sagt der Senior hinterher. «Aber das mache ich sonst nie.»
Peter Schmeichel und Kasper Schmeichel: Seit der Euro 1988 in Deutschland prägt nur eine Torwartfamilie gleich zwei Zeitalter des dänischen Fußballs. Kasper (37) ist Kapitän des nächsten deutschen EM-Gegners und wird beim Achtelfinale am Samstagabend in Dortmund (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) sein 104. Länderspiel bestreiten. In jedem anderen Land wäre er vermutlich längst eine Fußballlegende ohne jede Einschränkung. Nur in Dänemark ist er immer noch: «Der Sohn von…».
Wie soll man aus diesem Schatten aber auch jemals heraustreten? Peter Schmeichel stand im Tor, als die deutsche Nationalmannschaft ihre bislang schmerzhafteste Niederlage gegen Dänemark kassierte: im EM-Finale 1992 (0:2). Und er war auch dabei, als Bayern München das Champions-League-Endspiel 1999 noch in der Nachspielzeit gegen Manchester United verlor (1:2).
Fans kennen Kasper in der Rolle des Sohnes
Europameister, Champions-League-Sieger, ManUnited-Idol: An einer solchen Karrierebilanz kommt in einem 5,9-Millionen-Einwohnerland wie Dänemark kaum jemand vorbei. Die dänischen Fans kennen Kasper Schmeichel dazu schon seit seiner Kindheit in der Rolle des Sohnes. Der Junior auf dem Trainingsplatz der Nationalmannschaft. Oder im Mannschaftsbus. Diese Fotos gibt es seit den 90er-Jahren, weil der Vater den Sohn gern mitnahm zu seinem Team.
Das Verhältnis von Torwart zu Torwart haben die beiden dann auch sehr früh geklärt: Aus der Karriere des Sohnes hält sich der Vater heraus. «Er hat Trainer, Berater und Torwarttrainer, die jeden Tag mit ihm arbeiten», sagte Peter Schmeichel einmal in einem Sky-Interview. «Es wäre ein Problem für die Familie und sehr stressig für mich, wenn ich jetzt auch noch sein Berater oder sein Manager wäre.» Für seinen Sohn «wäre das wahrscheinlich noch viel stressiger.» Denn der werde ohnehin schon «an jeder Kreuzung mit mir verglichen. Und das ist wirklich unfair.»
An Profil gewonnen
Ganz so schlimm wie früher ist das allerdings nicht mehr. Denn gerade bei dieser und bei der vergangenen Europameisterschaft gewann Schmeichel junior enorm an Profil.
Als Kapitän setzte er mit durch, dass seine Teamkollegen und er in den nächsten vier Jahren auf Geld verzichten, damit die dänischen Nationalspielerinnen genauso hohe Prämien bekommen wie die Nationalspieler. Bei der EM 2021 war er der erste Spieler, der seinen Freund Christian Eriksen nach dessen Herzstillstand im Krankenhaus besuchte. Beides hat dem Torwart des RSC Anderlecht in seiner Heimat viel Anerkennung gebracht. Jetzt sei er «sein ganz eigener Schmeichel», titelte die dänische Zeitung «B.T.» vor drei Jahren.
Was ihm noch fehlt, ist ein Länderspiel-Erfolg gegen Deutschland. Seit dem EM-Finale 1992 gab es erst zwei davon (2000 und 2007) – und beide Male stand weder der eine Schmeichel im Tor noch der andere. «Deutschland ist eine große Fußball-Nation und dazu noch der Gastgeber. Sie werden der Favorit gegen uns sein», sagte Kasper Schmeichel am Mittwoch. Aber das war 1992 bekanntlich auch schon so.