Die Virologin Barbara Gärtner ist davon überzeugt, dass die deutschen Athleten im Olympischen Dorf von Tokio sicher sein werden. «Da ist jedes Studentenwohnheim kritischer», sagte die Beraterin des Deutschen Olympischen Sportbundes der Deutschen Presse-Agentur im Interview.
Wie sind die deutschen Topathleten durch die Pandemie mit allen Hygieneregeln und Einschränkungen gekommen?
Barbara Gärtner: Die Athleten habe ich als sehr verantwortungsvoll erlebt. Was mich positiv überrascht hat, nachdem von verschiedener Seite der Wunsch geäußert wurde, die Athleten vorgezogen zu impfen, dass Sportler und Betreuer dies nicht wollten, und sich genauso wie jeder hinten anstellen wollten.
In anderen Ländern wurden die Olympia-Teilnehmer viel früher geimpft. Kann sich das noch als Nachteil erweisen?
Gärtner: Nein, das sehe ich nicht als Nachteil. Es ging ja vor allem darum, den Sportlern die Teilnahme an den Olympischen Spielen zu ermöglichen. Und da war der Zeitdruck nicht besonders groß. Wir haben immer wieder ausgerechnet, mit welchem Impfstoff müsste man wann spätestens anfangen, damit bis zu den Spielen Impfschutz vorhanden ist..
Die Wahl fiel dann auf Johnson & Johnson…
Gärtner: Johnson & Johnson hat für Sportler enorme Vorteile, weil es nur eine Impfung braucht. Zudem waren noch nicht alle deutschen Sportler qualifiziert und man musste mit Nebenwirkungen durch die Impfung im Bereich von ein bis zwei Tagen ausgehen. Das muss man erst mal in seinen Trainings- und Wettkampfplan eintakten. Da ist es viel schwieriger, wenn man mehrere Impfungen braucht.
90 Prozent plus X reisen geimpft nach Tokio. Ist das der größte Sicherheitsfaktor?
Gärtner: Definitiv.
Haben Sie Verständnis für die knapp zehn Prozent der deutschen Olympia-Athleten, die sich nicht impfen lassen wollen?
Gärtner: Das muss jeder selbst entscheiden. Ich sehe die Vorteile deutlich höher als die Nachteile. Aber es gibt sehr viele wohl überlegte Entscheidungsgründe für einen Menschen, es zu tun oder nicht zu tun. Das Risiko einer schweren Erkrankung ist für einen jungen Menschen eher niedrig. Jeder muss sich mit seiner Entscheidung wohl fühlen, er trifft sie für sein eigenes Leben.
Die Athleten werden in einer Blase leben, abgeschottet im Olympischen Dorf. Sind sie dort vor Infektionen gut geschützt?
Gärtner: Man gibt sich sehr große Mühe, den Kontakt zwischen Allgemeinbevölkerung und Athleten auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Es geht in beide Richtungen: Athleten können sich durch die Bevölkerung infizieren und umgekehrt. Es sind so viele Athleten und Betreuer, die anreisen werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass da überhaupt keiner dabei ist, der infiziert ist, nicht Null ist. Ich halte eher die Infektionswege zwischen Betreuer und Athleten für die weitaus relevanteren als die zwischen Bevölkerung und den Teilnehmern.
Es kommen rund 11 000 Athleten sowie weitere tausende Trainer und Offizielle nach Tokio. Und das aus mehr als rund 200 Ländern. Die Delta-Mutation grassiert weltweit. Könnten andere Corona-Varianten eingeschleppt werden und es zum der „Fest der Mutationen“ kommen?
Gärtner: Ich halte die Populationsdichte durch die Teilnehmer für nicht so hoch, dass dort relevant Mutanten entstehen könnten. Außerdem ist die Durchimpfungsrate der Athleten ziemlich hoch. Vor einiger Zeit hätte ich das noch anders bewertet, doch aufgrund dieser hohen Durchimpfungsrate glaube ich nicht, dass wir durch die Athleten zu einem globalen Ereignis kommen werden, das sich von Tokio aus weiter verbreitet. Man hat bei der Fußball-EM gesehen: Die Spieler sind nicht das Problem, sondern die Zuschauer, die so eine Art Turbo anstoßen, weil viele Menschen sich treffen und dadurch die Infektionsraten ansteigen.
Von den Athleten aus zahlreichen Ländern geht demnach keine Gefahr aus, dass sich in ihrer Mitte Mutanten bilden und vermehren?
Gärtner: Die Frage ist, wie Mutanten selektiert werden. Einmal müssen sie spontan entstehen, dann brauchen sie ein gutes Umfeld, um sich vermehren zu können. Dazu sind viele Menschen für das Virus gut, so dass es sich von einem zum nächsten Organismus weiter verbreiten kann und dort einem anderen immunologischen Druck unterliegt, indem es mal auf einen Halbgeimpften, mal auf einen komplett Geimpften und mal auf einen gar nicht Geimpften trifft. Ich kann mir aber gar nicht vorstellen, dass die 10.000 Teilnehmer in Tokio das wirklich hergeben, das sind zu wenige und noch dazu bremst die Impfung das Geschehen. Das ist zu wenig relevant, um so etwas zu verursachen.
Das Internationale Olympische Komitee geht davon aus, dass ungefähr 84 Prozent der Athleten geimpft sein werden. Es gibt aber verschiedenste Impfstoffe, auch aus China und Russland, die nicht so eine hohe Schutzrate haben sollen. Ein Problem?
Gärtner: Auch die Impfstoffe, die in der EU zugelassen wurden, haben keine hundertprozentige Schutzwirkung. Das muss man runterrechnen. Wenn ich 80 Prozent geimpfte Athleten und eine Schutzwirkung von 90 Prozent durch den Impfstoff habe, dann sind eben nur 72 Prozent der Sportler geschützt.
Im Olympischen Dorf werden tausende Sportler auf Zeit leben. Wird das ein gefährlicher Ort sein?
Gärtner: Der Trick beim Olympischen Dorf ist: Man versucht, das Corona-Virus rauszuhalten. Für mich ist es einer der am besten überwachten Bereiche, die wir weltweit haben werden. Mit Bewohnern mit hohen Impf- und Testraten sowie Athleten, die sich um ihre Gesundheit sorgen, ihren Wettkampf machen wollen und Angst haben, in Quarantäne zu kommen, nachdem sie sich jahrelang vorbereitet haben. Da ist jedes Studentenwohnheim kritischer.
Summa summarum: Können die Sommerspiele, was die Pandemie-Risiken betrifft, glimpflich über die Bühne gehen?
Gärtner: Ja. Davon gehe ich absolut aus.
Gehen Sie ebenso davon aus, dass die deutsche Mannschaft bestens gesichert bei Olympia antreten und die Spiele gesundheitlich gut überstehen wird?
Gärtner: Man hat alles getan, was man konnte. Dafür sind wir auch als Deutsche bekannt, in diesem Dingen sehr gründlich zu sein. Wir haben alles dafür getan, jedem eine Impfung zukommen zu lassen. Man hat alles getan, alle zu überzeugen, die sich nicht impfen lassen wollten. Man hat für Mediziner und Physiotherapeuten vorgeschrieben, dass sie geimpft sein müssen. Ich wüsste nicht, was man außer einer Zwangsimpfung, die ich für völlig falsch halte, noch hätte tun müssen. Es ist alles getan, was man sich nur vorstellen kann.
ZUR PERSON: Barbara Gärtner ist Leiterin der Krankenhaushygiene im Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene (IMMH) des Universitätsklinikums des Saarlandes. Die Professorin berät den Deutschen Olympischen Sportbund seit rund zehn Jahren.