Dass er die neue Nummer eins der deutschen Springreiter ist, hat Richard Vogel natürlich wahrgenommen. «Aber ich bin keiner, der sich darauf viel einbildet», versichert der 26 Jahre alte Profi: «Ehrlich gesagt, habe ich nicht viel darüber nachgedacht.» Das klingt ungewöhnlich. Es passt aber auch zu seinem ungewöhnlichen Weg an die Spitze.
Vogel ist der Senkrechtstarter der Szene. Vor einem Jahr war der aus Riedlingen in Baden-Württemberg stammende Reiter in der Weltrangliste nur die Nummer 110. Jetzt steht er als bester Deutscher auf Rang zehn – Tendenz steigend. Und im Ranking der deutschen Springreiter wird er für das Jahr 2023 bereits offiziell als Nummer eins geführt.
Dafür ist er Zehntausende von Kilometern zu den Reitplätzen in aller Welt gereist. Welchen Aufwand der junge Reiter betreibt, ließ sich schon zu Beginn des Jahres verfolgen. Los ging es mit mehreren Monaten bei einer Turnierserie in Florida, von wo er zwischendurch zurück nach Deutschland jettete zu den Turnieren in Leipzig und Neumünster.
Zwischen Kanada, Spanien und Mexiko
«Die Frage ist immer, wo sind die richtigen Turniere für meine Pferde», erklärt Vogel. Und «ehrlicherweise geht es immer auch um Pferdehandel». Davon lebt er schließlich. So ritt Vogel im Herbst zunächst bei Veranstaltungen in Kanada und Spanien, ehe er seinem Job mehrere Wochen in Mexiko nachging.
«Das war schon ein Abenteuer», sagt Vogel. 35 Siege bei internationalen Springen feierte er in zwölf Monaten, darunter mit der deutschen Nationalmannschaft beim Nationenpreis-Finale und beim Grand-Slam-Turnier in Genf. Insgesamt setzte er 27 Pferde ein. Manche davon haben inzwischen den Besitzer gewechselt.
Nicht verkauft sind United Touch und Cepano, die ihm nicht selbst gehören, jedoch länger unter seinem Sattel bleiben. Die beiden Spitzenpferde haben maßgeblich beim Höhenflug geholfen und sind mit ihm nun im Olympia-Kader. «Das ist das große Ziel 2024», sagt er zu den Olympischen Spielen in Paris.
Kandidat für Olympia
«Er ist natürlich ein heißer Kandidat, deswegen ist er ja auch im Kader», betont Bundestrainer Otto Becker. «Dass er sehr gut reitet, wissen wir schon länger, schließlich hat er dreimal in Folge den U25-Springpokal in Aachen gewonnen.» Jetzt habe Vogel allerdings auch Weltklasse-Pferde.
Der Bundestrainer verfolgt die Karriere naturgemäß schon länger. Auch wenn Vogel im Nachwuchsbereich nie in einer EM-Nationalmannschaft geritten ist. «Gewundert» hat Becker sich vor allem über eine Entscheidung Vogels: 2020 verließ der junge Mann überraschend den Turnierstall von Ludger Beerbaum, wo er vor allem Pferde ausbildete. «Manche haben mich für verrückt erklärt», berichtet der Reiter. «Aber ich wollte mehr Turniere reiten.» Und er wollte selbst handeln.
Ställe an zwei Standorten in 125 Kilometer Entfernung
Nach zweieinhalb Jahren in Deutschlands erfolgreichstem Turnierstall entschied Vogel sich für einen ungewöhnlichen Weg. Der junge Profi gründete mit seinem Kumpel David Will einen eigenen Stall auf dem Hofgut Dagobertshausen in Marburg – und einen weiteren mit seiner Freundin Sophie Hinners auf dem Gestüt Prinzenberg in Pfungstadt. «Wir ergänzen uns gut», sagt Vogel. Sportlich klappt es auch. Will ist die Nummer vier der deutschen Rangliste, Hinners die Nummer zehn.
Zwischen den beiden Anlagen liegen rund 125 Kilometer. Vogel pendelt, wenn er nicht wieder irgendwo in der weiten Welt herumreitet wie etwa in den nächsten Wochen in den USA. Wo er daheim ist? «Das fragen mich viele», sagt Vogel vergnügt. In Pfungstadt schlafe er bei seiner Freundin, erklärt er, in Marburg im Gästezimmer seines Kumpels. «Eine eigene Wohnung habe ich gar nicht mehr.»