Volles Haus und Corona-Rekorde: Grotesker Fußball-Alltag

Der Amateursport steht teilweise still, bei den Profis mehren sich die Absagen wegen zahlreicher Infektionen – doch in die Stadien der Fußball-Bundesliga dürfen trotz Zuspitzung des Infektionsgeschehens die Massen strömen.

Von den neun Spielen des Wochenendes hat Borussia Dortmund gegen den VfB Stuttgart mit 82 Prozent noch die geringste Auslastung, was in absoluten Zahlen aber 67.000 Zuschauern und damit fast den am Donnerstag neu gemeldeten Coronainfektionen Deutschlands entspricht.

Hitzlsperger: Fußball ist kein Pandemietreiber

Die Clubs – die natürlich nur das umsetzen, was die Politik vorgibt – sehen offenbar ihr wirtschaftliches Überleben als wichtiger an und glauben, in der 2G-Regelung ein Allheilmittel gefunden zu haben. So lesen sich zumindest Aussagen wie jene von Stuttgarts Vorstandsvorsitzenden Thomas Hitzlsperger im «Kicker»: «Eine neuerliche, pauschale Reduzierung von Stadionkapazitäten würde unsere wirtschaftliche Situation existenziell verschärfen und wäre auch in Bezug auf die Pandemiebekämpfung der falsche Weg.» Fußballspiele seien keine Pandemietreiber, meinte der 39-Jährige. «Das zeigen die Zahlen sowohl bei uns in Stuttgart als auch in der gesamten Liga.»

Die Länderchefs könnten den Fußball nun aber noch stärker in die Pflicht nehmen. Bei ihren Beratungen am Donnerstag seien sich die Ministerpräsidenten und -präsidentinnen «sehr schnell einig» gewesen, «wenn Zuschauer im Stadion 2G beachten müssen, dass das nach unserer Auffassung auch für die Profis gelten soll», sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Damit könnte ungeimpften Profis wie Nationalspieler Joshua Kimmich bei anhaltend kritischer Corona-Lage ein Spielverbot drohen.

Allerdings sei noch unklar, ob sich dieser Beschluss auch für Profisportler bei ihrer Berufsausübung durchsetzen lasse, ließ Wüst erkennen. «Die Rechtslage war klar, ob wir das umgesetzt kriegen, das müssen wir jetzt prüfen», sagte der NRW-Ministerpräsident.

Angesichts der akuten Warnungen von RKI-Chef Lothar Wieler («Es ist fünf nach zwölf»), abenteuerlich hohen Neuinfektionen und zahlreichen Fällen von Impfdurchbrüchen wirken volle Stadien und Impfzweifler unter den Spielern absurd. «Es ist zuletzt kein großer Herd in einem Stadion ausgebrochen, das stimmt uns positiv für unsere Spiele mit den aktuellen Regelungen», sagte Bielefelds Manager Samir Arabi.

Mönchengladbach ist am Wochenende der einzige Bundesliga-Spielort, an dem nur die 3G-Regelung gilt. Und man sieht keine Veranlassung, proaktiv zu werden. «Wir halten uns an die Vorgaben der Bundesregierung. Wir halten nichts davon, es selbst strenger zu regeln. Wir hatten bislang keine Nachverfolgung. Die Zuschauer halten sich an die Regeln», sagte Sportdirektor Max Eberl.

Am Platz kann die Maske abgenommen werden

Immerhin herrscht bei einigen Bundesligisten auf dem gesamten Stadiongelände Maskenpflicht. Die Regel ist jedoch, dass am Platz die Maske abgenommen werden kann. So wird es auch beim in der Mehrzahl aus Stehplätzen bestehenden Stadion von Union Berlin am Samstag im Derby gegen Hertha BSC praktiziert. Eine surreale Situation, für die Genehmiger in der Politik aber offenbar völlig durchdacht. «Es ist eine 2G-Veranstaltung, insofern ist es zu rechtfertigen, weil es sehr strenge Regeln sind», sagte Berlins Innensenator Andreas Geisel.

Diese sehr strengen Regeln besagen unter anderem, dass das Tragen der Maske am Platz lediglich eine Empfehlung ist. Hertha-Sportchef Fredi Bobic verteidigte die Entscheidung am Donnerstag. «Man kann diskutieren, ist es richtig, ist es nicht richtig. Wir haben Vorgaben, und an die halten wir uns», sagte der 50-Jährige. Bobic bestätigte zudem, für das kommende Hertha-Heimspiel am 27. November gegen Augsburg ebenfalls eine Vollauslastung beantragt zu haben. Das Olympiastadion fasst rund 74.000 Zuschauer.

Paradoxerweise zeigt sich gerade im Fußball selbst, dass 2G nicht der Königsweg ist. Drittligist 1. FC Magdeburg vermeldete am Mittwoch 13 infizierte Spieler – alle waren geimpft oder genesen. Bayern München muss am Freitag beim FC Augsburg auf den kroatischen Nationalspieler Josip Stanisic verzichten, der doppelt geimpft, genesen und dennoch positiv getestet worden ist. Der 1. FC Kaiserslautern meldete ebenfalls mehrere Positivfälle, Anfang des Monats hatte Zweitligist Sandhausen mit 18 positiven Befunden für Schlagzeilen gesorgt.

Absagen und Verlegungen sind fast Routine

Im Corona-Hotspot Sachsen ist die Handball-Saison unterbrochen, im Amateur-Fußball alle Spiele des kommenden Wochenendes abgesagt. Die Adler Mannheim aus der Deutschen Eishockey Liga (DEL) spielen trotz acht Corona-Fällen weiter – und holten sich unter der Woche im Achtelfinal-Hinspiel der Champions Hockey League ein 1:10 gegen Schwedens Top-Club Frölunda ab. Die Handball-Zweitligisten Eisenach, Coburg und Ludwigshafen haben bereits Spiele abgesagt, wobei die Thüringer mit zehn Fällen am ärgsten gebeutelt sind.

Absagen und Verlegungen sind so etwas wie Routine geworden. «Wir sind nicht gelassen, aber auch nicht hektisch. Wir gehen seit eindreiviertel Jahren offen und transparent mit dieser dynamischen Situation um», sagte Liga-Präsident Uwe Schwenker der dpa. Die Vereinsverantwortlichen der 1. und 2. Liga sprechen sich im 14-tägigen Rhythmus ab. Wirtschaftlich komme man bis zum Jahreswechsel «mit den staatlichen Hilfen hin».

In der Basketball-Bundesliga (BBL) gab es noch keinen Spielausfall. Dagegen sorgt man sich davor, bald wieder vor leeren Rängen spielen zu müssen. «Geisterspiele sind das Horrorszenario am Horizont», sagte Geschäftsführer Stefan Holz der dpa. Der Liga-Boss hofft, dass die 18 Vereine ihre Heimspiele in Zukunft nach den 2G-Regeln austragen dürfen. «Das wäre bei dem, wie das Virus da draußen wütet, ein Rahmen, mit dem wir gut leben könnten», sagte Holz.

Bei Anwendung der 2G-Regel sähe DEL-Geschäftsführer Gernot Tricke auch kein Problem an vollen Hallen. «Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Ligaspiele selbst bei 3G keine sogenannten Superspreader-Events sind, sicherlich auch, weil die Kontrollen und Hygienekonzepte in den Arenen sehr streng sind. Das haben auch die jüngst veröffentlichten Auswertungen der Luca-App eindrücklich gezeigt», sagte Tripcke.

Von Tom Bachmann, dpa