Vom Schattentrainer zum Chefcoach: BVB setzt auf Sahin

Vom Schattentrainer zum Chefcoach: BVB setzt auf Sahin

Stallgeruch statt Renommee. Borussia Dortmund setzt bei der Neubesetzung des Trainerpostens erneut auf Vereinsnähe – und verzichtet darüber hinaus künftig auf Leitwolf Mats Hummels. Wie der Champions-League-Finalist mitteilte, tritt Nuri Sahin die Nachfolge von Edin Terzic an und erhält einen Vertrag bis zum 30. Juni 2027.

Wie schon sein Vorgänger verfügt auch der 35 Jahre alte ehemalige BVB-Profi beim Amtsantritt über wenig Erfahrung, steht dem Fußball-Bundesligisten aus dem Revier aber emotional sehr nahe. Dass mit Hummels ein weiterer Kultprofi nach Marco Reus die Dortmunder verlässt, rundet den Umbruch beim BVB ab.

«Wir sind überzeugt davon, dass Nuri der richtige Trainer für uns ist. Er hat sich in den vergangenen Jahren engagiert auf eine Trainerlaufbahn vorbereitet, wird seine neue Aufgabe mit viel Hingabe wahrnehmen und unsere Mannschaft weiterentwickeln», kommentierte der neue Sportchef Lars Ricken die Beförderung des bisherigen Terzic-Assistenten. «Nuri kennt den Verein, seine Mitarbeiter und die BVB-DNA sowohl als Spieler als auch als Co-Trainer.»

Die Suche nach einem neuen Coach fiel dem Bundesliga-Fünften wesentlich leichter als zuletzt dem FC Bayern. Seit seiner Rückkehr nach Dortmund im Januar galt Sahin als Schattentrainer von Terzic, der den Tabellenfünften der vergangenen Saison am Vortag um die sofortige Auflösung seines bis 2025 datierten Vertrags gebeten hatte. Aus seinen Ambitionen, irgendwann einmal bei seinem Herzensclub als Chefcoach zu arbeiten, machte Sahin nie einen Hehl. «Wir werden vom ersten Tag an mit viel Energie und großer Leidenschaft alles dafür tun, um den maximal möglichen Erfolg zu haben», kündigte er an.

Mit viel Herzblut in schwierige Aufgabe

Wie sein in Menden geborener Vorgänger stammt der Lüdenscheider aus der Nähe von Dortmund. Zudem genießt er nach 274 Pflichtspielen (26 Tore) im schwarzgelben Trikot viel Kredit bei den Fans. Erste Erfahrungen als Trainer im Profibereich sammelte Sahin von 2021 bis 2023 beim türkischen Erstligisten Antalyaspor.

Der Regisseur der Meistermannschaft von 2011 ist gleich mächtig gefordert. Zusammen mit Ricken, Sportdirektor Sebastian Kehl und Kaderplaner Sven Mislintat soll der 52-malige türkische Nationalspieler, der in seiner Profikarriere für den BVB, Real Madrid, den FC Liverpool, Werder Bremen und Antalyaspor auflief, zu einem Kaderumbau beitragen. «Dank seiner natürlichen Autorität und seiner Expertise hat er einen sehr guten Zugang zu unserer Mannschaft und weiß, woran wir gemeinsam arbeiten müssen», lobte Kehl.

Ziel ist eine Rückkehr der Borussia zu attraktiverem Offensivfußball. Einer der geplanten Neuzugänge soll der Stuttgarter Torjäger Serhou Guirassy sein, mit dem der BVB dem Vernehmen nach in aussichtsreichen Verhandlungen steht.

Auf der Suche nach neuer Team-Hierarchie

Viel wird davon abhängen, wie es Sahin gelingt, für eine neue Hierarchie im Team zu sorgen. Reus und Hummels hinterlassen große Lücken. Wie der Angreifer erhält auch der 35-jährige Abwehrchef keinen neuen Vertrag. Mit überragenden Spielen hatte er in der vergangenen Saison noch großen Anteil am Einzug des BVB ins Champions-League-Finale. Das 0:2 im Endspiel im Wembley-Stadion gegen Real Madrid am 1. Juni wurde zum Abschluss der BVB-Karriere des Weltmeisters von 2014. Wie es mit Hummels nun weitergeht, verriet er bisher nicht. Angeblich sind diverse italienische Clubs interessiert.

«Liebe Fans, meine Zeit in Schwarzgelb findet nun nach insgesamt über 13 Jahren ein Ende. Es war mir eine riesengroße Ehre und Freude. Dieser Verein mit seinen Fans ist etwas ganz Besonderes – und für mich noch viel mehr als das», wurde Hummels in einer Mitteilung zitiert.

Interview zur Unzeit

Sein Interview zur Unzeit kurz vor dem Champions-League-Finale gegen Real Madrid (0:2) in der «Sport Bild», in dem Hummels Kritik an der Arbeit von Terzic geübt hatte, kam in der Chefetage nicht gut an und dürfte die Entscheidung maßgeblich beeinflusst haben. Daran ändert auch das Aus des bisherigen Cheftrainers nichts.

Angesichts dieser Schlagzeilen konnte sich Hummels ein kritisches Statement nicht verkneifen: «Glaubt nicht alles, was die letzten Tage so zu lesen war. Da waren sehr viele Un- und Halbwahrheiten dabei.» Der «unpersönliche Abschied» mache ihn traurig: «Der Einfluss eines 35 Jahre alten Spielers, der nicht weiß, wie seine Karriere ab dem Sommer weitergeht, war sicher nicht so groß, wie er medial teilweise gemacht wird.»

Der gebürtige Bergisch-Gladbacher wurde in der Jugend des FC Bayern ausgebildet und gab dort auch 2007 sein Profidebüt. Es folgte im Januar 2008 ein Wechsel per Leihe nach Dortmund, im Sommer 2009 kaufte ihn der BVB komplett. 2011 und 2012 wurde Hummels mit den Dortmundern deutscher Meister. Sieben Jahre später kehrte der inzwischen gestandene Nationalspieler zu den Bayern zurück. Mit dem Rekordmeister feierte Hummels drei weitere Meisterschaften. Im Sommer 2019 folgte die erneute Rückkehr ins Ruhrgebiet.

Taktgeber des BVB-Fußballs

«Mats war einer der bestimmenden Taktgeber des BVB-Fußballs in den vergangenen 15 Jahren», lobte Ricken. Sportdirektor Kehl pflichtete bei: «In Mats Hummels verlieren wir ohne Zweifel eine herausragende Persönlichkeit, vielleicht eine der letzten ihrer Art im Fußball. Mats hat während seiner Karriere nicht nur den BVB geprägt, sondern auch das Innenverteidiger-Spiel weltweit auf ein neues Niveau gehoben.»

Hummels absolvierte 442 Bundesligaspiele (33 Tore) und 90 Champions-League-Partien (fünf Tore). Sein letztes von bislang 78 Länderspielen machte Hummels im vergangenen November beim 0:2 in Österreich. Für die Heim-EM wurde er nicht nominiert.

Von Heinz Büse und Thomas Eßer, dpa