Als vor einem Jahr die Champions in Wimbledon ermittelt wurden, saß Marketa Vondrousova als Zuschauerin auf der Tribüne. Den linken Arm in einen Gips gehüllt, verfolgte die 24 Jahre alte Tschechin ein paar Partien ihrer Freundin Miriam Kolodziejova. Ansonsten war sie überwiegend in den Shopping-Malls von London anzutreffen.
«Wir waren ganz normale Touristen, haben das London Eye besucht und waren ansonsten viel shoppen. Ich glaube fünfmal», sagte Vondrousova. Ein Jahr später blieb dafür keine Zeit. Denn Vondrousova spielte sieben Matches beim Rasen-Klassiker – und krönte sich völlig überraschend zur Königin von Wimbledon. «Das ist einfach unbeschreiblich», sagte Vondrousova.
«Vor einem Jahr hatte ich einen Gips um den Arm, jetzt habe ich Wimbledon gewonnen», sagte sie nach dem 6:4, 6:4 gegen die Tunesierin Ons Jabeur, die damit ihr zweites Wimbledonfinale in Serie verlor und danach am Boden zerstört war. Auch der aufmunternde Applaus der Zuschauer und eine Umarmung von Prinzessin Kate konnten Jabeur nicht aufmuntern.
Sieg als ungesetzte Spielerin
Vondrousova dagegen trug stolz und ungläubig zugleich die Siegestrophäe, den Venus Rosewater Dish, über den Rasen. Nach Angaben der Veranstalter als erste ungesetzte Spielerin der Turniergeschichte gewann sie das wohl populärste Tennis-Event der Welt und fügte der erfolgreichen tschechischen Wimbledon-Geschichte damit ein weiteres Kapitel hinzu.
«Vondrousova reiht sich in die Legenden-Riege ein», schrieb «Sport.cz». «Eine Fantasie wird wahr!», titelte «MF Dnes». Vor Vondrousova hatten bereits die Tschechinnen Jana Novotna (1998) und Petra Kvitova (2011) im All England Lawn Tennis and Croquet Club gewonnen. «Ein großer Sieg für dich und das tschechische Tennis. Genieße jeden Moment dieses Erfolges», schrieb Kvitova, die im Viertelfinale klar in zwei Sätzen gegen Jabeur verloren hatte, bei Twitter.
Der Triumph von Vondrousova war der bislang überraschendste der tschechischen Siege. Schließlich war sie zuvor nicht gerade als Rasenspezialisten bekannt. «Es war das unwahrscheinlichste Grand-Slam-Turnier für mich zu gewinnen. Und jetzt ist es einfach passiert», sagte die Linkshänderin, die 2019 bereits das Finale bei den French Open erreicht hatte. 2021 gewann sie bei Olympia in Tokio Silber. Und dennoch reiht sie sich in die Riege von Grand-Slam-Siegerinnen ein, mit denen niemand gerechnet hatte. Wie zum Beispiel Jelena Ostapenko (French-Open-Siegerin 2017), Emma Raducanu (US-Open-Siegerin 2021) oder Vondrousovas Landsfrau Barbora Krejcikova (French-Open-Siegerin 2021).
«Erst einmal ein paar Bier trinken»
Von vielen hörte man danach nicht mehr viel, auch Vondrousova könnte so ein One-Hit-Wonder sein. Doch das war ihr im Moment ihres größten Erfolges herzlich egal. «Ich werde erst einmal ein paar Bier trinken», sagte Vondrousova. Am Tag danach wollte sie sich dann zusammen mit ihrem Coach Jan Mertl ein Tattoo stechen lassen. Der Trainer hatte das im Glauben, ein Grand-Slam-Sieg seines Schützlings sei eher unwahrscheinlich, vor dem Turnier versprochen.
Fürs Finale war auch extra ihr Ehemann Stepan Simek eingeflogen, der vorher noch auf die gemeinsame Katze Frankie hatte aufpassen müssen. An diesem Sonntag feiern die beiden ihren ersten Hochzeitstag. Einen schöneren Ort dafür hätte sich das Paar wohl kaum aussuchen können.