Fougères (dpa) André Greipel ergriff die Initiative und stoppte das Peloton der Tour de France.
Als Reaktion auf die Sturz-Farce auf den ersten drei Etappen traten die Profis des größten Radsport-Spektakels der Welt in den Streik, wenngleich die Aktion gut 900 Meter nach dem Start in Redon nicht von langer Dauer war. Die Fahrer forderten einen Dialog aller Beteiligten, um vermeidbare Massenstürze künftig zu verhindern. Nach dem gut einminütigem Halt bummelte das Feld zehn Kilometer weiter, ehe das Rennen schließlich eröffnet und die Etappe letztlich von Mark Cavendish gewonnen wurde.
«Mental und körperlich sind wir alle gezeichnet»
«Die Tour ist erst zwei Tage alt und ich fühle mich, als ob ich schon zwei Wochen unterwegs wäre. Mental und körperlich sind wir alle gezeichnet», sagte Tony Martin am Dienstag vor dem Start. Der viermalige Weltmeister war bereits in mehrere Stürze verwickelt. «Wenn man die Strecke anders gestalten würde, wäre viel Risiko genommen worden. Klar ist es einfach, zu sagen, fahrt einfach ruhiger. Wir sind aber nicht hier, um ruhig zu fahren. Wir sind hier, um zu gewinnen und unsere Leader zu beschützen. Das macht man nicht hinten, das macht man vorne.»
Besonders das Finale der dritten Etappe mit einer kurvigen Abfahrt auf schmalen Straßen wenige Kilometer vor dem Ziel war den meisten Fahrern und Teams zu viel. «Mir fehlen da echt die Worte, wie dieses Finale gestaltet worden ist. Es sah auf der Karte schon schlimm aus, aber live war es noch viel schlimmer», hatte ein sichtlich mitgenommener Greipel gesagt. Ex-Weltmeister Michal Kwiatkowski sprach von «russischem Roulette», für den Kölner Nils Politt war die Streckenführung «einfach kriminell».
«Weltmeisterschaft im Domino»
Das Tour-Zentralorgan L’Équipe schrieb süffisant von einer «Weltmeisterschaft im Domino». Für zusätzliche Verstimmung sorgte, dass Bedenken der Fahrer ignoriert und mit Verweis auf bestehende Regeln abgebügelt worden waren. Die Fahrervereinigung CPA war vor der Etappe bei der Rennjury und der ASO vorstellig geworden. «Es wurde vorgeschlagen, die Zeit acht Kilometer vor dem Ziel zu nehmen. Das wurde abgelehnt», sagte Politt dem ZDF.
Stars der Szene wie Primoz Roglic und Geraint Thomas waren in die Stürze verwickelt und sitzen nur unter großen Schmerzen wieder auf dem Rad. Die Stimmung ist im Keller und die Kritik an der ASO, aber vor allem am Weltverband UCI wächst. «Die UCI hat ihre eigenen Regeln nicht befolgt», betonte Bora-Teamchef Ralph Denk. «Es ging bergab im Finale, die Zielgerade hatte einen Knick. Das sollte alles nicht sein. Wenn man den Schuldigen sucht, dann ist es die UCI.»
Auf Flachetappen wie jener nach Pontivy bekommen alle Fahrer nach der Drei-Kilometer-Marke dieselbe Zeit. Auf diese Regel verwies auch die Rennjury und stellte auf stur. Streckenchef Thierry Gouvenou schaltete umgehend in den Verteidigungsmodus: «Es wird zunehmend schwerer, geeignete Zielorte zu finden. Es gibt einfach keine mittelgroße Stadt ohne Verkehrsinsel, Kreisverkehr oder Straßenverengung mehr. Vor zehn Jahren hatten wir 1100 gefährliche Stellen bei der Tour. In diesem Jahr sind es 2300.»
UCI und ASO in der Kritik
Straßenmobiliar hin oder her, ASO und UCI müssen sich in diesem Fall dennoch fragen, ob eine kurvige Abfahrt auf schmalen Straßen wenige Kilometer vor der ersten Sprintentscheidung der 108. Tour wirklich sinnvoll war. «Hätte man hier eine fünf oder zehn Kilometer lange Schlussrunde gehabt, wäre die Abfahrt nicht so wichtig gewesen», sagte Roger Kluge in der ARD. Der 35-Jährige war als Anfahrer für Caleb Ewan eingeplant, muss sich nun aber eine neue Aufgabe suchen. Denn auch der Sprintstar stürzte schwer und musste die Tour aufgeben.
Die Diskussion um die Sicherheit der Fahrer ist in den vergangenen Jahren intensiver geworden. Bessere Materialien für die Rennmaschinen sorgen mittlerweile dafür, dass in langen Abfahrten problemlos 90 km/h und mehr erreicht werden. Der Weltverband UCI verbot deshalb in diesem Jahr den «Supertuck», eine aerodynamische Haltung, bei der man auf dem Oberrohr des Rades sitzt. Zudem dürfen die Unterarme nicht mehr auf dem Lenker abgelegt werden, was bei langen, flachen Strecken von vielen Fahrer beliebt war. Bei den Profis stießen diese Neuerungen auf wenig Gegenliebe. Martin bezeichnete sie gegenüber der Deutschen Presse-Agentur vor der Tour als Aktionismus.