Morddrohungen, Hass und Hetze: Vermeintliche Fußballfans überziehen Sportler, Funktionäre und Experten mit Beleidigungen und Bedrohungen im Internet.
Basketball-Nationalspieler Dennis Schröder erhielt nach dem deutschen Viertelfinal-Erfolg gegen Griechenland bei der EM Todeswünsche per Nachricht. Nach Hunderten von Schmähungen haben sich die Schiedsrichterexperten von «Collinas Erben» von Twitter vorerst zurückgezogen. Auch dem kommenden RB-Leipzig-Sportgeschäftsführer Max Eberl, der sich mit Verweis auf seinen Gesundheitszustand im Frühjahr bei Borussia Mönchengladbach zurückzog, gilt in den sozialen Medien der Hass vieler Nutzer.
Fanforscher Jonas Gabler sieht in den Anfeindungen dennoch keine auffallende Zunahme an Hetze. «Ich würde nicht sagen, dass es mehr oder schlimmer geworden ist. Es ist ein Phänomen, das es seit den Anfängen von Social Media gibt. Und mit mehr Mitgliedern nehmen eben auch die negativen Kommentare zu», sagte der Geschäftsführer der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene Soziale Arbeit (Kofas) der Deutschen Presse-Agentur.
Sportler werden als mediale Kunstfiguren wahrgenommen
«Durch Social Media ist die Schwelle erheblich gesunken, seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Oft werden die Sportler nicht als Menschen wahrgenommen, sondern als mediale Kunstfiguren», fügte Gabler hinzu. Einer Studie der Universität Leipzig zufolge unter 1013 Teilnehmern haben 24 Prozent der Befragten aus der ganzen Gesellschaft Beleidigungen, Drohungen oder Hass erlebt, teilte die Uni Ende August mit. Vor zwei Jahren seien es 18 Prozent gewesen.
Sportler stehen im Fokus des öffentlichen Interesses. Und das Rampenlicht lädt die Hasser zum Hassen ein. Mittelfeld-Akteur Niklas Schmidt von Fußball-Bundesligist Werder Bremen ging daher offline: «Ich habe mich aus den sozialen Medien zurückgezogen. Das ist der einzige Weg. Heutzutage kann doch jeder schreiben, was er möchte, ohne erkannt zu werden», sagte er dem NDR. Auch Werder-Abwehrspieler Mitchell Weiser musste sich nach seinem Wechsel von Leverkusen zu Bremen viel Mist anhören und zog sich deshalb zeitweise zurück.
Teamkollege Niclas Füllkrug hat für sich eine Lösung gefunden: «Es kann manche Leute mental schon sehr treffen und dementsprechend versuche ich, das in Grenzen zu halten und gar nicht so aktiv dort zu sein.» Mancher Spieler baut sich mit der Online-Präsenz schon die Zukunft für später – und kann nicht verzichten. «Für viele ist es eine Möglichkeit, eine Community aufzubauen, mit der man später – wenn man drauf angewiesen ist – Geld verdienen kann», sagte Füllkrug.
Eins ist klar: Es gibt nicht nur Hass. Aber trotz vieler wohlwollender Kommentare bleiben oft die negativen hängen. Oder die Anzahl der Attacken ist nicht mehr auszuhalten. Bei den Machern des Twitter-Accounts «Collinas Erben» war das erträgliche Maß aus Sicht der Schiedsrichterexperten erreicht. Nach der Analyse eines Handspiels bei der Bundesliga-Partie zwischen Hertha BSC und Leverkusen erhielten die Macher mehr als 200 Beleidigungen.
Die Experten zogen zum Leidwesen vieler Fans Konsequenzen und legen seitdem eine Twitter-Pause ein. Ob sie wiederkommen? Offen. «Wenn man dann zum 220. Mal liest, dass man inkompetent ist, ein Hurensohn, keine Ahnung hat, gelöscht gehört oder dem DFB in den Arsch kriecht, dann wird es auch irgendwann mal zu viel», sagte Mitbegründer Alex Feuerherdt dem Deutschlandfunk.
Stars ziehen sich aus dem Netz zurück
In der Vergangenheit haben Profis wie Toni Kroos und Niklas Süle auf Hass und Mobbing im Internet aufmerksam gemacht. In einem Video berichteten sie von diffamierenden Nachrichten. Mit Ex-Arsenal-Profi Thierry Henry zog sich im vergangenen Jahr ein Mega-Star aus dem Internet zurück und beklagte mit einem Boykott Rassismus und Mobbing.
Im selben Jahr gab es sogar einen Social-Media-Boykott im englischen Fußball. Doch nachhaltig war er nicht. Nach dem verlorenen Finale der Engländer bei der Fußball-Europameisterschaft wurden die Spieler Marcus Rashford, Jadon Sancho und Bukayo Saka wenige Monate später rassistisch verunglimpft, nachdem sie beim Elfmeterschießen nicht getroffen hatten. In der Folge waren einige Nutzer festgenommen und später verurteilt worden.
Werders Füllkrug hofft darauf, irgendwann eine Lösung für die Hetze im Netz zu finden. Einen Vorschlag hat er parat: «Vielleicht sollte man solche Themen mal in einem Schulfach berücksichtigen, wie man sich in den Medien benimmt und was das mit Leuten macht.»