Zäsur nach Lewandowski-Ära: Möglichkeiten durch Ablöse

Die ganz großen Emotionen blieben aus, Abschiedstränen gab’s zum Ende der glorreichen Bundesliga-Ära von Weltfußballer Robert Lewandowski nicht.

Der Super-Torjäger düste fix zu Frau und Kindern nach Spanien, von dort sollte es weitergehen zum FC Barcelona nach Miami. Die Bosse des FC Bayern blickten nach der tiefgreifenden Zäsur titelhungrig in die Zukunft mit einem neuen Offensivplan. «Wir wissen sehr gut, was wir Robert alles zu verdanken haben, aber den FC Bayern haben auch früher schon große Spieler verlassen und auch danach ist die Bayern-Welt nicht auseinandergebrochen», sagte Vorstandschef Oliver Kahn. «Im Gegenteil, oftmals ging es noch erfolgreicher weiter.»

344 Tore in 375 Bayern-Pflichtspielen, jede Menge Bestmarken wie der geknackte Allzeitrekord von Gerd Müller mit 41 Saisontoren und alle möglichen Titel – der frühere Dortmunder geht als der beste Bundesliga-Stürmer der Neuzeit in die Historie ein. Das Ende der achtjährigen Beziehung mit den Münchnern sorgte am Wochenende nach einem nervigen wochenlangen Wechselhickhack trotz des sportlichen Verlusts aber auf allen Seiten für Zufriedenheit.

Bis zu 50 Millionen Euro Ablöse für Lewandowski

Lewandowski bekommt seinen sehnlichen Wechselwunsch Barça erfüllt. Dort soll er vier Jahre bleiben und eine neue glanzvolle Zeit nach Lionel Messi prägen. Der deutsche Rekordmeister freut sich zwei Monate nach seinem «Basta»-Wechselverbot über eine üppige Millionenablöse von bis zu 50 Millionen Euro für einen fast 34-Jährigen, dessen Vertrag noch bis zum kommenden Sommer lief.

«Da die Ablöse für Robert exorbitant hoch ist, gibt uns das weitere Möglichkeiten, auf dem Transfermarkt möglicherweise noch zu agieren», sagte Kahn bei Bild TV. Sollte der Poker um Innenverteidiger Matthijs de Ligt (22) von Juventus Turin von Erfolg gekrönt sein und damit der zweite Coup nach dem Zugang von Sadio Mané für über 32 Millionen plus X glücken, könnten die Bayern das Geld auch für diesen Transfer in der Größenordnung von rund 70 Millionen Euro gut gebrauchen. Die Münchner sollen auch an Sturmtalent Mathys Tel (17) von Stade Rennes interessiert sein, auch eine Verpflichtung von Konrad Laimer (25) von RB Leipzig bleibt ein Thema.

«Zukunftsmusik» Harry Kane

Die spannende Millionen-Frage, wie der FC Bayern die Lewandowski-Ablöse investiert, wird aller Wahrscheinlichkeit nicht mit einem klassischen Neuner-Ersatz beantwortet. Das wäre etwa Harry Kane (28) von Tottenham Hotspur. Dass das Thema möglicherweise nochmal aktuell werden könnte, sei «Zukunftsmusik», sagte Kahn, schloss es aber nicht aus. Spekuliert wird über den Sommer 2023. «Jetzt müssen wir erst mal schauen, den Kader für die aktuelle Saison zusammenzubekommen. Da schauen wir mal, was noch alles passiert.» Cristiano Ronaldo kommt laut Kahn weiter nicht in Betracht.

Trainer Julian Nagelsmann plant mit einem Modell, das um den von den Bossen zum neuen Bayern-Weltstar auserkorenen Mané und den nun bis 2026 an den Club gebundenen Serge Gnabry Offensivwirbel kreieren soll. «Natürlich ist es so, dass wenn du einen Stürmer verlierst, der 40 Tore schießt über mehrere Jahre, eine große Komponente wegbricht», sagte Nagelsmann vor dem Start der USA-Reise am Montag. «Andererseits ist es eine große Herausforderung und eine große Chance für alle, trotzdem Bayern München strahlen zu lassen nach der Ära Lewandowski.» Im Training ließ er wiederholt im 3-5-2-System kicken.

Lewandowski-Ära hinterlässt keine tiefe Fußball-Liebe

Lewandowski verabschiedete sich am Samstag mit vielen herzlichen Umarmungen bei seiner überraschenden Trainingsteilnahme von Teamkollegen und Trainern. Stunden später meldete er sich aus seiner neuen Wahlheimat Spanien via Instagram, dankte für «acht wunderbare Jahre, die ich für immer in meinem Herzen behalten werde».

Viel Gefühl klang in diesen Worten durch, aber die große Lewandowski-Zeit wird trotz aller Tore und allen Jubels nicht als tiefe Fußball-Liebe in Erinnerung bleiben. Anders als die Zeiten von Fanlieblingen wie Bastian Schweinsteiger oder Franck Ribéry, die allerdings auch längere Epochen prägten. Topverdiener Lewandowski, der als zweimaliger Weltfußballer in Barcelona wie einst Messi auch auf den ersehnten Ballon d’Or hofft, war in München in jeder Hinsicht ein Profi. Eiskalt agierte der Modellathlet vor dem Tor – aber auch kühl kalkuliert bei seinen Karriereentscheidungen.

«Es waren acht wunderbare Jahre hier. Von daher hoffe ich, dass wir mit etwas Abstand das, was die vergangenen Wochen passiert ist, vergessen können. Es waren unnötige Dinge dabei, von beiden Seiten», sagte Lewandowski der «Bild» am Sonntag im Interview zu den vielen Störgeräuschen. «Ich kenne das Geschäft, ich weiß, was gesagt und geschrieben wurde. Viel war unnötig, viele falsche Gerüchte.» Vielleicht hätten «gewisse Dinge passieren» müssen, befand er, «damit der Wechsel am Ende möglich war».

Lewandowski-Abgang kann «auch Befreiung» sein

«Acht besondere Jahre, viele Tore, viele Trophäen, Höhen und Tiefen, aber immer Respekt und ein echter Siegergeist!», würdigte sein langjähriger kongenialer Offensivpartner Thomas Müller «Lewys» Leistungen. Sportvorstand Hasan Salihamidzic hatte nach dem Abschied des «besten Stürmers seit Gerd Müller» beim FC Bayern «ein weinendes und ein lachendes Auge». Der «Bomber» traf insgesamt 365 mal in der Bundesliga, Lewandowski erzielte als Zweitbester 312 Tore.

«Der Abgang kann für die anderen Jungs auch eine Befreiung sein», sagte Salihamidzic. Es gelte 40 bis 50 Scorerpunkte zu ersetzen. «Wir haben Spieler, die auf mehreren Positionen spielen können. Die werden wir loslassen.»

Gnabry für Post-Lewandowski-Zeit zuversichtlich

Leroy Sané, Kingsley Coman, Jamal Musiala, Müller, Mané oder Gnabry sind ein klangvolles Offensiv-Ensemble, weitere Stars hat Nagelsmann in der Hinterhand. Dass Nationalspieler Gnabry in Anwesenheit von Papa und Mama seine bei der Teampräsentation von rund 20 000 Fans in der Allianz Arena bejubelte Vertragsverlängerung bekanntgab, ist auch ein weiteres Signal für die Art der künftigen Offensivausrichtung. Gnabry reizt die Position im Zentrum schon seit jeher.

«Es ist was besonders, mit seinen Freunden, seinen Brüdern auf so einem Level zu spielen», sagte der 27-Jährige und sieht in dem Lewandowski-Abgang keine nicht zu meisternde Bürde. «Wir haben enorme Qualität da vorne und ich bin mir sicher, dass wir da auch erfolgreich sein werden.»

Außer Mané verpflichteten die Münchner in diesem Sommer bereits Ryan Gravenberch (20) und Noussair Mazraoui (24) von Ajax Amsterdam, die am Wochenende offiziell vorgestellt wurden. Bei de Ligt rechnet Kahn nicht mit einer schnellen Lösung, zumal Juve eine Ablöse von 90 Millionen Euro anstrebt. «Der FC Bayern ist unheimlich solide aufgestellt. Das gibt uns die Möglichkeiten, am Transfermarkt aktiv zu sein», sagte Präsident Herbert Hainer.

Von Christian Kunz, Martin Moravec und Martin Kloth, dpa