«Zeit zu handeln»: Rassismus-Debatte vor Hamilton-Heimspiel

Für Lewis Hamilton sollte die Heimkehr in sein Formel-1-Wohnzimmer Silverstone eigentlich zur Kraftquelle werden.

Doch der heftige Wirbel um rassistische Aussagen des dreimaligen Weltmeisters Nelson Piquet trifft ausgerechnet jetzt eine offene Wunde des Superstars und der Motorsport-Szene. «Es war genug Zeit zu lernen. Jetzt ist es Zeit zu handeln», mahnte der 37-Jährige, dem es im Kampf gegen Diskriminierung und für mehr Diversität in der Rennserie nicht schnell genug voran geht.

In den Tagen vor dem britischen Grand Prix am Sonntag (16.00 Uhr/RTL und Sky) wurde der Motorsport gleich von mehreren Entgleisungen erschüttert. Gerade erst war Hamilton öffentlich der schwarzen TV-Reporterin Naomi Schiff beigesprungen. Die Rennfahrerin, die einen deutschen Vater hat, sah sich im Internet heftigen Anfeindungen ausgesetzt. «Es ist noch ein weiter Weg, die Einstellung in diesem Sport zu ändern», schrieb Hamilton.

Vips und Piquet mit rassistischen Aussagen

Für Aufregung sorgte auch eine rassistische Aussage des Red-Bull-Ersatzfahrers Jüri Vips in einem Internet-Stream. Der Rennstall trennte sich deshalb in dieser Woche vom Esten. In der Nachwuchsklasse Formel 2 darf der 21-Jährige aber für das Hitech-Team die Saison zu Ende fahren. «Eine überraschende Entscheidung, die wir so nicht getroffen hätten», teilte die Formel-2-Spitze mit.

Für Ex-Champion Piquet ist indes Medien zufolge im Fahrerlager von nun an kein Platz mehr. Dem Brasilianer soll demnach seine eigentlich lebenslange Zutrittsberechtigung zum Formel-1-Zirkus entzogen werden. Der Club der britischen Rennfahrer erkannte Piquet am Donnerstag dessen Ehrenmitgliedschaft ab. Zu Wochenbeginn war ein Interview des 69-Jährigen aufgetaucht, in dem er Hamilton verunglimpft hatte. Piquet entschuldigte sich zwar für seine Wortwahl, bestritt aber einen rassistischen Hintergrund.

Die Formel 1 tut sich immer noch schwer

«Es geht nicht um eine Person, es geht um das große Ganze», sagte Hamilton in Silverstone. Figuren wie Piquet oder auch der frühere Formel-1-Chef Bernie Ecclestone dürften keine Plattform mehr erhalten. «Sie sind aus der Zeit gefallen und nicht bereit, sich zu ändern», urteilte Hamilton.

Ecclestone hatte am Donnerstag in einer TV-Sendung nicht nur erklärt, er würde für Kremlchef Wladimir Putin trotz der russischen Invasion in die Ukraine noch immer «durchs Feuer gehen». Der 91-Jährige nahm auch Piquet in Schutz. Dieser würde nicht absichtlich etwas Schlimmes sagen.

Brisant ist der Vorfall auch, weil Piquet der Vater von Max Verstappens Lebensgefährtin Kelly ist. Mit Verstappen hatte sich Mercedes-Fahrer Hamilton in der Vorsaison einen bisweilen überharten Titelkampf geliefert. Ein Crash in Silverstone im Vorjahr brachte das Duell zum Überkochen. Während viele Fahrer und Teams nach Bekanntwerden der Piquet-Aussagen ihre Solidarität mit Hamilton versicherten, blieb Verstappens Arbeitgeber Red Bull stumm.

Am Donnerstag sagte der Niederländer dann, die Wortwahl Piquets sei «nicht korrekt» gewesen. Einen Fahrerlager-Bann lehnte Verstappen aber ab. Es sei besser, in einen Dialog einzutreten. «Ich habe einiges an Zeit mit Nelson verbracht. Er ist kein Rassist, sondern ein netter und entspannter Typ», versicherte Verstappen.

Auffällig war indes auch, dass Rennställe und Piloten in den öffentlichen Statements den Namen Piquet nicht erwähnten. Einige Beobachter kritisierten, die Rennserie wolle das Problem im eigenen Umfeld nicht konkret benennen und flüchte sich in Allgemeinplätze.

Hamiltons Kampf gegen Rassismus geht weiter

Sein ganzes Leben lang schon sei er von derartigen Einstellungen umgeben und immer wieder zur Zielscheibe geworden, ließ Hamilton wissen. «Dies sind veraltete Sichtweisen, die sich ändern müssen und keinen Platz in unserem Sport haben», betonte der Rekordchampion, der sportlich in dieser Saison um den Anschluss an die Spitze ringt.

Schon im Vorjahr hatte eine von ihm initiierte Kommission für mehr Chancengleichheit im Motorsport festgestellt, dass einige schwarze Ingenieure in der Formel 1 noch immer von unangenehmen Erfahrungen berichten. Weniger als ein Prozent der tausenden Beschäftigten in der Rennserie sind Schwarze. Hamilton ist weiter der einzige schwarze Fahrer der Formel-1-Geschichte.

Im Kampf gegen Rassismus und ungleiche Chancenverteilung rief die Formel 1 zum Saisonstart 2020 die Initiative «We race as one» (etwa: Wir fahren vereint) ins Leben. Mit viel Geld für die Ausbildung und neue Stellen für Minderheiten soll die Rennserie diverser und inklusiver werden.

Der Weltverband Fia verabschiedete in dieser Woche zudem ein neues Regelwerk gegen Diskriminierung und Schikane im Motorsport. Eine «Null-Toleranz-Politik» gegenüber Fehlverhalten kündigte Fia-Präsident Mohammed Ben Sulayem an. Die Vorfälle vor dem Grand Prix in Silverstone dürften dieses Versprechen umgehend auf die Probe stellen.

Von Christian Hollmann, dpa