Zensur, Druck, Zwänge: Der Fall Peng Shuai und seine Folgen

Wie es Peng Shuai wirklich geht, ist auch ein Jahr nach dem Beginn des Skandals ein Rätsel. Seit Monaten tritt die Tennisspielerin nicht mehr in der Öffentlichkeit auf, es tauchen keine Videos oder Bilder auf.

Der einstige Spitzenpolitiker Zhang Gaoli durfte dagegen trotz der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen ihn gerade erst beim nur alle fünf Jahre stattfindenden Parteikongress in Peking in der ersten Reihe Platz nehmen. Es ist ein Zeichen, dass die Partei zu ihm steht. Ein Interesse, den Fall aufzuarbeiten, ist öffentlich nicht zu erkennen.

Peng Shuai fehlt schon länger auf der Tennistour

«Sie ist keinen Moment frei. Ich glaube, dass sie weiterhin unter Zwängen steht, die wir uns nur ansatzweise vorstellen können», sagt der Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker, Hanno Schedler, der dpa: «Wir gehen weiter davon aus, dass sie eine Gefangene des Staates ist, wie sie es seit einem Jahr ist. Eine Gefangene insofern, dass sie sich wahrscheinlich nicht frei bewegen und sich nicht frei äußern kann. Der Staat hat genug Druckmittel.» 

Am 2. November 2021, nur drei Monate vor den Winterspielen in Peking, begann der Fall damit, dass die frühere Nummer 14 der Welt im Einzel ihr Schicksal im chinesischen Kurznachrichtendienst Weibo teilte: Die einstige Wimbledon- und French-Open-Siegerin im Doppel schilderte, dass sie über einen Zeitraum von zehn Jahren mit Unterbrechungen eine Beziehung mit dem verheirateten, um Jahrzehnte älteren Politiker eingegangen sei. 

In dem Post, deren Echtheit die dpa nicht verifizieren konnte, war von Liebe und Zuneigung die Rede, aber auch von mindestens einem ungewollten sexuellen Übergriff. Chinas strenge Zensoren schritten sofort ein. Rasch war der Beitrag gelöscht.

Später bestritt Peng Shuai, die Vorwürfe erhoben zu haben. Es sei ein Missverständnis gewesen. Sie war wochenlang verschollen, auch das wies sie später zurück. Die Fotos und Videos, die sie dann zeigten, etwa beim Besuch in einem Restaurant oder bei einer Ski-Langlauf-Veranstaltung, wirkten allerdings ebenso gestellt und inszeniert wie Auftritte bei Olympia. Während der Winterspiele in Peking im Februar hatte sie sich mit IOC-Präsident Thomas Bach getroffen, seitdem war von ihr nichts mehr zu sehen. «Ich gehe nicht davon aus, dass sie noch mal Tennis spielen kann. Warum? Weil es der Staat nicht will», sagt Schedler. Ihr letztes Match hatte die 36-Jährige deutlich vor den Anschuldigungen gespielt.

WTA-Finale in Texas statt im chinesischen Shenzhen

Auf der Tennis-Tour hat der Fall weiter Konsequenzen. Das glamouröse Saisonfinale der WTA mit den acht besten Spielerinnen der Saison wird ab Montag in Texas ausgetragen – und nicht wie vorgesehen im chinesischen Shenzhen. WTA-Chef Steve Simon hatte außergewöhnlich reagiert, alle Turniere in China abgesagt und damit auf Milliarden-Geschäfte verzichtet. Inzwischen gibt es allerdings Signale, dass die WTA 2023 womöglich nach China zurückkehren könnte. Simon knüpft dies an Bedingungen: «Wir werden dafür bei unseren grundsätzlichen Prinzipien keine Kompromisse eingehen», sagt er auf dpa-Anfrage.

Seit einem Jahr fordert die Profiorganisation eine faire Aufklärung. «Uns wurde bestätigt, dass Peng sicher ist und sie sich wohlfühlt, aber wir haben sie noch nicht persönlich getroffen», sagt Simon: «Unsere Gedanken bleiben bei Peng Shuai.» 

Im Gegensatz zur WTA geriet das Internationale Olympische Komitee (IOC) für seine Positionierung in die Kritik. Das Treffen von Bach in Peking mit Peng Shuai konnte die öffentlichen Zweifel an ihrem Wohlergehen nicht zerstreuen, die «stille Diplomatie» des IOC dürfte im Sinne des Olympia-Gastgebers gewesen sein, der wenig Interesse an weiteren Debatten um die Sportlerin hatte.

Zum Jahrestag verweist das IOC erneut darauf, dass die Athletenkommission weiter im Austausch mit der ehemaligen Nummer eins der Doppel-Weltrangliste sei. Mehrere Male habe es seit Olympia Kontakt gegeben. «Ein Besuch in Europa wird weiter diskutiert, wie in Peking vereinbart», teilt das IOC mit. Der Zeitpunkt hänge von den strengen Corona-Regeln in China ab. Ob Peng Shuai wirklich jemals das olympische Museum in Lausanne besuchen wird? «Wenn man sie wiedersehen wird, davon gehe ich mal aus, dann wird alles staatlich choreografiert sein», sagt Schedler.

Strenge Zensur in China

In China waren die Anschuldigungen und das Verschwinden von Anfang an streng zensiert worden. Chinesische Medien berichteten fast überhaupt nicht. Diskussionen in sozialen Netzwerken wurden meistens sofort gelöscht. Ähnlich erging es meist auch anderen Frauen, die in den vergangenen Jahren versuchten, mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen. Wegen einer Verweigerungshaltung der Behörden und strenger Zensur konnte eine #Metoo-Bewegung wie im Westen in China keine Fahrt aufnehmen.

An Zhang Gaoli, dem mächtigen Ex-Politiker, sind die Vorwürfe ganz offensichtlich nicht hängen geblieben. Zudem zeigte der Parteikongress, dass die Führung in Sachen Gleichberechtigung trotz einer massiven Dominanz von Männern keinen Handlungsbedarf sieht. Im Gegenteil: Die einzige Frau, die bisher im 25-köpfigen Politbüro vertreten war, wurde gerade erst in Rente geschickt.

Kristina Puck und Jörn Petring, dpa