Boris Becker traut Alexander Zverev nun alles zu. «Mit dieser Leistung hat er sich endgültig in den Kreis der Favoriten gespielt», sagte Deutschlands Tennis-Legende über den bei den French Open derzeit so stark auftrumpfenden Profi aus Hamburg.
Das klare 6:4, 6:1, 6:1 im Eiltempo gegen den Japaner Kei Nishikori war eine deutliche Machtdemonstration der deutschen Nummer eins. Zählt er sich also nun selbst zu den Kandidaten auf den Titel? «Ich lasse lieber andere reden», sagte Zverev nach seiner beeindruckenden Vorstellung im Achtelfinale. «Ich lasse mein Tennis sprechen.»
Motivation durch mangelnde Wertschätzung
Hört man sich unter den Experten um, fällt auf, dass der Name Zverev kaum fällt. Rafael Nadal, Novak Djokovic – na klar, das sind die beiden Topfavoriten. Zudem werden noch der in dieser Saison so starke Stefanos Tsitsipas und der plötzlich seine Liebe zum Sand im Stade Roland Garros entdeckende Daniil Medwedew genannt. Aber Zverev? Läuft eher unter dem Radar.
«Ich weiß, dass ihn das anspornt», sagte Zverevs Bruder und Manager Mischa bei Eurosport. Alexander Zverev stört es schon länger, dass seine Leistungen nicht immer richtig gewürdigt werden. Das war schon im vergangenen Jahr so, als er als US-Open-Finalist nach Paris kam und dennoch kaum Beachtung fand. Aus dieser mangelnden Wertschätzung zieht er aber auch Motivation. «Ich liebe es, andere zu überzeugen, wenn sie nicht so von mir überzeugt sind», sagte der 24-Jährige.
In Paris gelingt ihm dies aktuell auf bemerkenswerte Art und Weise. Der gebürtige Hamburger tritt total fokussiert und ambitioniert auf. Mit seinem dritten Viertelfinal-Einzug bei den French Open wollte er sich daher in der Nacht zum Montag nicht lange aufhalten. «Ich spüre noch keinen Champagner aus Flaschen auf meinem Kopf», sagte Zverev. «Das Turnier ist noch nicht vorbei. Ich hoffe, ich habe hier noch drei Matches», sagte der Weltranglisten-Sechste.
Zverev ist professioneller geworden
Es wird in diesen Tagen von Paris deutlich, dass Zverev einen Reifeprozess durchgemacht hat und professioneller auftritt als in den Jahren zuvor. An den Tagen zwischen den Spielen sucht Zverev stets eine Eiskammer auf, um seinen Körper bestmöglich regenerieren zu lassen. Die Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Physio Hugo Gravil nimmt in der Vor- und Nachbereitung ebenfalls Stunden in Anspruch. Und dass er bei seinem Team nun wieder ausschließlich auf Vertraute und Familienmitglieder setzt, scheint ihm auch gut zu tun.
Das alles führt zu einem Selbstverständnis auf dem Platz, das man bei Zverev noch nicht lange sieht. Der Schlüsselmoment in dieser Entwicklung war das verlorene US-Open-Finale gegen Dominic Thiem, in dem er im vergangenen Jahr zwischenzeitlich nur zwei Punkte von seinem ersten Grand-Slam-Titel entfernt war. Das Gefühl, so nah dran gewesen zu sein und der Ehrgeiz, dieses große Ziel jetzt endlich erreichen zu wollen, haben Zverev reifen und stärker werden lassen.
«Er zeigt ein sehr selbstbewusstes und bestimmtes Auftreten, ohne arrogant zu wirken», sagte Becker. «Zverev weiß um seine Stärke und bringt seine PS auf die Straße, auf den Platz. Ihm ist klar, dass er weit kommen kann. Diese Stärke strahlt er aus», lobte der dreimalige Wimbledonsieger.
Mit diesem Vertrauen in die eigene Stärke wird Zverev auch am Dienstag ins Viertelfinale gegen den Spanier Alejandro Davidovich Fokina gehen. Von der Papierform her ist die Nummer 46 der Welt ein machbarer Gegner. Doch zu Zverevs fokussierten Auftritten in Paris gehört es auch, jeden Gegner ernst zu nehmen. «Er steht bei einem Grand Slam im Viertelfinale, also kann er kein schlechter Spieler sein», sagte Zverev.